Nicht auf Sendung

Am Dienstag gab es einen Generalstreik in Italien. Rom stand still, Berlusconis TV-Kanäle informierten nicht

17 Grad, bedeckt. Schwerfällig, in Regenjacken eingemummt, schleppen sich die Reisegruppen über den Petersplatz, fläzen sich auf die Treppen vor dem Mark-Aurel-Denkmal und eilen davon, wenn Händler mit Silberschmuck kommen. Sonst ist es ruhig in Rom, still wie die Ruinen. Einige Geschäfte haben offen, an den meisten aber hängt ein Schild, das der Kundschaft mitteilt, man habe sich dem Votum der Mitarbeiter gefügt.

Solidarität wird groß geschrieben an diesem Tag in Italien. Es ist Generalstreik, der erste seit 18 Jahren. Ein historischer Augenblick. Die Museen haben geschlossen, die Banken und Dienstleistungsunternehmen auch. Das öffentliche Verkehrsnetz ist lahm gelegt, bis auf ein paar Streikbrecher fährt kein Bus und keine U-Bahn. Vor allem für die Touristen herrscht an diesem Dienstag der Ausnahmezustand. Vom Forum Romanum bis zur Villa Borghese braucht man eine halbe Stunde zu Fuß, und das ist noch eine der kürzeren Wegstrecken.

Der Streik war seit einem Monat angekündigt. So hatten die Gewerkschaften Zeit genug, die Demonstration in der Hauptstadt vorzubereiten. Jetzt sind sie mit Bussen gekommen, aus Bologna und Neapel, für die Großkundgebung am Morgen um halb zehn. Wie viele da sind, weiß keiner, das Fernsehen hält sich mit Informationen zurück. RAI Uno zeigt eine Quizshow, auf Mediaset läuft ein Schinken aus den 50er-Jahren. Vielleicht möchte der Sender von Berlusconi nicht so genau wissen, was los ist in der Stadt. Schließlich richtet sich der Protest gegen die Reform des Artikels 18, der bisher Lohnsteigerungen proportional zur Inflationsrate festlegte. Jetzt ist diese Absicherung hin, das ist Berlusconis Beitrag zum Neoliberalismus. Aber was nützt der Widerstand, wenn er nicht auf Sendung gehen kann?

Verzagt wird nicht. Am Morgen ziehen die mobilisierten Arbeiter durch die Stadt, am Nachmittag sind es die Kritiker der Globalisierung. Dazwischen macht die Opposition Pause, so wie man es überhaupt locker angeht in Italien, auch mit dem Kampf gegen das System. Während um 10 Uhr die Sozialisten ihren Auftritt haben, sind gegen 16 Uhr hauptsächlich junge Leute in Streetwear unterwegs – no logo, versteht sich.

Wenn überhaupt irgendwo Label auftauchen, dann sind es kubanische Fußballtrikots und palästinensische Fahnen. Vom Wagen, der den Demonstrationszug anführt, hört man einen enorm basslastig wummernden Sound, eine Mischung aus Reggae, Nirvana und Breakbeats. Die Stimmung auf der Route rund um den Bahnhof ist entspannter als bei Berliner Bambule-Treffen, der Spaß erinnert mehr an die Love Parade, nur sind nicht ganz so viele Politraver auf den Beinen, vielleicht 2.000. Dabei kommt es zu komischen Konstellationen, bettelnde Frauen bitten um Geld und beten für das Seelenheil der Demonstranten.

Ein Grund für die doch sehr geringe Beteiligung ist sicher die Großveranstaltung am Morgen, die der „No Globo“-Bewegung gewaltig Konkurrenz gemacht hat. Während die Jugend marschiert, sind die Alten längst wieder in ihren Bussen, auf dem Weg nach Hause. Außerdem ist der gemeinsame Nenner eher klein: dass Berlusconi wegmuss, darin ist man sich einig. Aber wie es mit den freien Märkten und dem Kapital weitergehen soll, ist ungeklärt. Dass eine Mitte-links-Koalition nicht automatisch Politik von unten macht, weiß man aus den Erfahrungen mit den Sozialisten.

Kaum hat sich der Zug ein wenig vom Zentrum entfernt, ist der Betrieb ohnehin wieder normal. Der Generalstreik endet um 17 Uhr, danach bilden sich gewaltige Schlangen an den Bushaltestellen. Kluge Römer haben indessen vorgebeugt und sind gleich mit dem Motorroller in die City gefahren.

Zurück bleiben allein die verdutzten Urlauber, für die ein kostbarer Tag verloren gegangen ist. Zumindest die Amerikaner werden sich den Rom-Aufenthalt innerhalb ihres „Europe in ten days“-Programms anders vorgestellt haben, als vor verschlossenen Museen zu stehen, bis der Bus sie wieder abholt, um zum Hotel zu fahren. Dabei hätten sie den Streik ausgiebig für eine Vatikanvisite nutzen können – da der Kirchenstaat nicht zu Italien gehört, war beim Papst Dienst nach Vorschrift. Wie jeden Tag.

HARALD FRICKE