The Finn from Ipanema

■ Von Samba-Musik und ihren legendären Helden. Neu im Kino: Der rhythmische Film „Moro No Brasil“ vom Finnen Mika Kaurismäki

Eine Reise in die Wärme beginnt am eindruckvollsten in der Kälte. Im Schneegestöber sieht man in den ersten Einstellungen des Films einen verfrorenen Jugendlichen eine „Deep-Purple“-LP aus den 70ern in die Kamera halten. So war es damals, erzählt uns Regisseur Mika Kaurismäki (mit schwerem finnischen Akzent), als er eben jenes Album gegen eine Samba-Platte eintauschte, und ihn alle seine Freunde für verrückt hielten. Vor zehn Jahren wanderte der ältere Bruder von Aki Kaurismäki nach Rio de Janeiro aus. „Moro No Brasil“ heisst schlicht „Ich lebe in Brasilien“, und über seine Liebe zur Samba hat er jetzt diesen Dokumentarfilm gemacht.

4.000 Kilometer ist er dafür durchs Land gereist, und hat die wichtigsten heute noch lebenden Samba-Musiker gesucht, interviewt und vor der Kamera ihre Musik spielen lassen. Dass höchste Zeit für solch eine Bestandsaufnahme war, sieht man daran, dass zwei der von ihm vorgestellten Musiker kurz nach den Dreharbeiten verstarben. So etwa der Forr-Sänger und Komponist Jacinto Silva aus dem Perambucco, dessen letzter Auftritt im Film zu sehen ist.

Im tiefsten Nordosten, in einem Dorf mit wenigen noch lebenden Indios von Brasilien, beginnt der Film. Sie spielen die ursprünglichste, rauhste Samba, hier beisst man sozusagen direkt in das Zuckerrohr dieser süßen Musik. Die erste Raffinade, durch die sie zum brauen Zucker wurde, erhielt die Samba durch die Sklaven aus Afrika, die ihre verschiedenen Kulturen in Candomblés zu bewahren suchten: Götter und Geisterbeschwörungen, bei denen die Teilnehmer sich in Trance tanzen, und bei denen die verschiedensten Rhythmen Afrikas vermischt wurden. Durch die nächste Raffinade, den portugiesischen/maurischen Einfluss mit Melodieführung, der Instrumentierung mit Gitarre und dem Tambourin wurde der Zucker, die Samba dann, nein, nicht weiß, aber so süß und verführerisch, wie wir sie heute kennen. Kaurismäkis Reise folgt dieser Spur. Wenn er also aus den Steppen des Nordostens langsam an die Küste von Bahia fährt und dabei in den kleinen Orten die Sambaspieler besucht, die alle ihren ganz eigenen Klang und Stil haben. Das ist auch eine Zeitreise, die der Entwicklung der Samba folgt, um schließlich bei den Zuckerbäckereien der Sambaschulen in Rio de Janeiro zu landen.

Filmisch ist „Moro No Brasil“ ganz bestimmt keine Offenbarung. Kaurismäki hat nicht das Talent seines jüngeren Bruders, der Film wirkt oft unstrukturiert, die Kommentare klingen unangenehm pädagogisch, und der Zuschauer wird mit einer Unzahl von Musikernamen beworfen, die alle wichtig für die Entwicklung des Sambas gewesen sein mögen, aber den Film nur überfrachten.

Doch man bekommt bei den vielen Besuchen, die Kaurismäki bei den Musikern macht, einen guten Eindruck davon, wie sie leben. Einige erzählen schöne Anekdoten, und bei allen merkt man, mit welcher Leidenschaft sie die Samba spielen. Immer wenn sie dann musizieren, hebt der Film im Samba-Rausch ab. Da ist dann plötzlich auch der Schnitt rhythmisch, die Bilder werden expressionistischer, Kaurismäki scheint sich jeweils für ein paar Minuten freizufilmen. So ist es ihm gelungen, seine Liebe zu dieser Musik dem Zuschauer zu vermitteln, und dafür dafür verzeiht man dem Film seine paar Ungeschicklichkeiten gerne. Es ist wohl auch schlicht unmöglich, mit soviel schöner Musik einen wirklich schlechten Film zu machen.

Wilfried Hippen

„Moro no brasil“ läuft täglich im Cinema um 20.30 Uhr