„Krieg für das Fernsehpublikum“

Charles V. Peña vom Washingtoner Cato-Institut über US-Amerikas Feldzug gegen den Terror: Krieg wird aus innenpolitischen Erwägungen geführt

Interview MICHAEL STRECK

taz: Ist die Verhaftung oder der Tod von Ussama Bin Laden noch relevant für Bushs „Krieg gegen den Terror“?

Peña: Ja, aus zwei Gründen: Erstens hat Präsident George W. Bush die Zielmarke vorgegeben, als er sagte: „Wir wollen ihn tot oder lebendig.“ Daran wird Bush gemessen werden. Man hat immer ein Problem, wenn man einen Krieg personalisiert. Zum anderen bleibt Bin Laden eine gefährliche Figur. Er ist der charismatische Al-Qaida-Führer und hat zudem wahrscheinlich als Erster eine Art Unternehmensmodell entwickelt, das es ihm erlaubt, Terrorismus zu privatisieren und so seine Organisation zu finanzieren. Er ist ein Schlüssel.

Für die Öffentlichkeit wird der Krieg gegen den Terror bislang im Wesentlichen militärisch geführt. Stimmt dieses Bild?

Bush hat die Charakterisierung „Krieg“ gewählt. Die meisten Menschen verbinden damit militärische Operationen. Um al-Qaida zu zerschlagen, werden wir anders vorgehen müssen. Und das wird nichts mehr mit einem herkömmlichen Krieg zu tun haben. Aber die amerikanische Öffentlichkeit würde nicht mehr glauben, dass es sich um einen Krieg handelt. Das ist der Grund, warum wir US-Truppen mit dem philippinischen Militär zusammenarbeiten. Die Abu-Sayyaf-Guerilla hat nur sehr schwache Verbindungen zu al-Qaida. Das sind vor allem Kidnapper, aber keine internationalen Terroristen. Die Militäraktionen auf den Phillippinen, wie auch in Georgien oder Jemen, erhalten jedoch den Eindruck aufrecht, dass wir uns weiter in einem „richtigen“ Krieg befinden.

Nach Afghanistan wird der Kampf gegen den Terror also unsichtbarer werden?

Der Kampf gegen al-Qaida wird immer unsichtbarer. Aber die Regierung wird vermutlich weiterhin einen sichtbaren Krieg führen gegen Terrorgruppen.

Warum?

Aus innenpolitischen Gründen. Die Zustimmung für Bush ist weiterhin sehr hoch, eben weil er den Krieg gegen den Terror führt. Er wird nicht den gleichen Fehler machen wie sein Vater. Der verlor die Wahl auf dem heimischen Parkett, obwohl er den Golfkrieg gewonnen hatte. Daher wird Bush junior versuchen, zumindest den Eindruck eines Krieges so lange wie möglich auszudehnen, so dass er ein dominierendes Thema bleibt. Vielleicht werden wir auch einen Zweifrontenkrieg führen. Einen unsichtbaren und erfolgreicheren gegen die Terrornetzwerke und einen sichtbaren für das einheimische Fernsehpublikum.

Kann man Terrorismus überhaupt militärisch bekämpfen?

Es gibt keine militärische Lösung. Einer der wichtigsten Schritte ist politischer Natur. Wir könnten eine Menge lernen von unseren Alliierten vor allem in Europa. Nach den Anschlägen, auch wenn sie eine andere Dimension hatten, habe ich zu betonen versucht, dass europäische Länder seit Jahrzehnten mit der Gefahr des Terrors leben. Terroristen denken auch langfristig. Sie müssen nicht jeden Tag aktiv werden, können lange Zeit abtauchen und plötzlich eine Bombe zünden. Die irische Untergrundarmee IRA hat einmal zur britischen Regierung gesagt: Ihr müsst perfekt sein, wir müssen nur zufrieden sein. Das ist wahr. Und noch ein Problem: Selbst wenn man glaubt, erfolgreich zu sein, wird man nie wissen, ob man die letzte Terrorzelle ausgehoben hat.

Was halten Sie denn in diesem Zusammenhang von den Ambitionen der Bush-Regierung Richtung Irak?

Wir müssen uns auf den eigentlichen Gegner konzentrieren, der uns angegriffen hat. Daher bin ich gegen einen Angriff auf den Irak. Sicher, Saddam Hussein ist ein Diktator und Menschenverachter. Aber er stellt keine direkte Bedrohung für die USA dar. Er kann uns nicht angreifen, auch wenn er vielleicht Massenvernichtungswaffen besitzt.

Und selbst der CIA hat keine Beweise, dass Saddam Hussein al-Qaida unterstützt.

Richtig. Fakt ist, dass immer weniger Staaten Terrorgruppen direkt unterstützen. Terrorismus hat sich verändert. Früher wurden Terroristen in Zentralasien und Nahost meist staatlich gesponsert und waren überwiegend ein Instrument im Kalten Krieg. Heute haben wir es mit einer neuen Form von privatisiertem Terror zu tun, mit Gruppen, die ihre eigene politische Agenda haben, die nicht einem Staat nützlich sein müssen. Manche Staaten tolerieren sie zwar, andere sind nicht stark genug, sie von ihrem Territorium zu verbannen. Staaten daher anzugreifen, selbst wenn man sie als böse Mächte ansieht, hilft uns da nicht weiter. Wenn wir morgen in den Irak einmarschieren und Hussein stürzen, verringert dies nicht die Bedrohung, die von al-Qaida ausgeht.

Wie kann man verhindern, dass Terroristen Massenvernichtungswaffen erwerben?

Wir können ihre Verbreitung nur verzögern. Die USA müssen damit leben, dass Länder, die nicht unsere engsten Partner, aber auch nicht unsere Feinde sind, Massenvernichtungswaffen besitzen werden. Saddam Hussein mag diese Waffen für seine eigenen Ziele besitzen wollen, aber er weiß, wenn er sie weitergibt, kommt dies einem Selbstmord gleich. Meine derzeit größte Sorge sind die Lagerbestände in Russland, wo Kontrollen und Sicherheit völlig unzureichend sind. Aber selbst in unserem eigenen Land ist es möglich, Biowaffen zu beschaffen und einzusetzen, wie die Milzbrandfälle gezeigt haben. Daher sind weitere Schritte zur Abrüstungs- und Waffenkontrolle notwendig.

In den USA wird laut über das Foltern gefangener Terroristen nachgedacht. Was halten Sie davon?

Wir dürfen auf keinen Fall die Werte der westlichen Demokratie aufs Spiel setzen. Geben wir unsere Menschenrechte im Kampf gegen den Terror auf, haben die Terroristen gewonnen. Wir haben den internationalen Aufschrei bei den Plänen zu den Militärtribunalen gehört, sodass sie erheblich modifiziert werden mussten. Solange Gefangene unter US-Aufsicht stehen, kann ich mir nicht vorstellen, dass gewaltsame Verhörmethoden angewendet werden.

Ist Amerika heute verwundbarer?

Nein, es ist ein Mythos, dass wir früher weniger verwundbar waren. Wir sind jetzt nur mit unserer Verwundbarkeit konfrontiert worden. Wenn wir in einer freien Gesellschaft leben wollen, wird es immer einen bestimmten Grad an Unsicherheit geben. Wir gehen jetzt durch einen Lernprozess, den viele europäische Länder hinter sich haben. Wir begreifen, dass Terror real ist.

Die Anschläge vom 11. September waren doch der Beweis, dass Amerika nicht von Raketen und Militärtechnik bedroht wird. Dennoch rüstet das Pentagon drastisch in konventionellem Sinne auf.

Ja, das ist eine Ironie. Wir finanzieren eine Struktur, die vom Kalten Krieg übrig ist. Reine Geldverschwendung. Wir sind gefangen in dieser patriotischen Kriegswelt. Es werden einfache Denkmuster bedient zur Freude der Rüstungsindustrie: Wir kämpfen einen Krieg, also brauchen wir mehr Geld für Waffen. Wir könnten wahrscheinlich viel mehr erreichen mit weniger Geld. Leider ist das nicht der American Way.

Sollte zu einer Antiterrorstrategie eine stärkere soziale und wirtschaftliche Unterstützung für jene Länder gehören, wo der Nährboden offenbar besonders fruchtbar ist?

Armut selbst ist nicht für den Terror verantwortlich. Alle Flugzeugentführer kamen aus der Mittelschicht. Sie benutzen arme Länder für ihre Infrastruktur. Insofern sollte alles versucht werden, dort den Lebensstandard zu heben. Aber der Terror ist keine Auflehung gegen soziale Missstände, sondern trägt eine politische Botschaft. Um diese müssen wir uns in erster Linie kümmern.

Welche politischen Motive stecken hinter dieser neuen Form des Terrors?

Ich misstraue der These, dass diese Gruppen aus blindem Hass gegen die westliche Welt handeln. Wäre es so, hätte es viele näher liegende Ziele gegeben, vor allem in Europa. Doch sie haben Amerika gewählt. Wir provozieren sie. Die Ereignisse des 11. September haben mit unserem Auftreten gegenüber der arabischen Welt zu tun. Wir sträuben uns weiterhin, unsere Außenpolitik und unsere Interventionen zu überprüfen und uns wirklich die Frage zu stellen, warum uns Menschen so sehr verachten, dass sie Terroristen werden. Im Falle von al-Qaida haben wir die deutlichen Warnungen von Ussama Bin Laden ignoriert, als es zum Beispiel um unsere Militärpräsenz in Saudi-Arabien ging. Es liegt nicht im vitalen nationalen Sicherheitsinteresse der USA, im heiligen Land der Muslime Truppen zu stationieren. Damit haben wir nur den Zorn der islamischen Welt auf uns gezogen. Wir haben uns selbst zur Zielscheibe gemacht.