„Mann wird nicht diskutiert“

Männer neigen bei Aggressionen eher zu Gewalt als Frauen. Schuld daran ist auch das Rollenverständnis von deutschen Männern, findet der Politologe Peter Döge

taz: Amokläufer sind häufig Männer, die mit ihren Aggressionen nicht umgehen können. Was machen die anders als Frauen?

Peter Döge: Männer und Frauen haben ein ähnlich hohes Aggressionspotenzial, wie jüngste Studien zeigen. Während Frauen die eher verbal ausleben, also etwa durch üble Nachrede, agieren Männer körperlich, durch Gewalt. Wobei noch nicht endgültig geklärt ist, inwieweit auch Frauen zu physischer Gewalt tendieren. So wissen wir, dass Frauen auch in Jugendgruppen Gewalt ausüben: Bis zu einem Drittel der Mitglieder in gewalttätigen Skinheadgruppen ist weiblich.

Also doch kein Unterschied zwischen Männern und Frauen? Haben wir bald die erste weibliche Amokläuferin?

Das hoffe ich nicht. Aber das Beispiel der Jugendgruppen zeigt, dass Frauen genauso gewalttätig sein können wie Männer, wenn sich weibliche Rollenbilder auflösen.

In Diskussionen wird darauf hingewiesen, dass Amoklauf eine männliche Gewaltform ist, aber niemand geht darauf ein. Warum?

Männlichkeit ist in unserer Gesellschaft einfach überhaupt kein Problem, sie steht kaum zur Diskussion. Hinzu kommt, dass die bundesdeutsche Geschlechterpolitik Geschlecht weitgehend mit „Frau“ gleichsetzt. Das zu Verändernde in den Geschlechterbeziehungen waren die Frauen. Männer kamen und kommen da nicht vor. So gibt es diesen unsäglichen Begriff der Frauenförderung, der unterstellt, nur die Frauen hätten ein Defizit. Für Männer in Führungspositionen, die jetzt mit männlicher Gewalt umgehen müssen, wie Otto Schily etwa, für die ist eine Problematisierung von Männerrollen – und damit auch ihrer eigenen – etwas sehr Befremdliches und Ungewöhnliches.

Ist das in anderen Ländern tatsächlich anders?

Skandinavien hat Geschlechterpolitik immer auch als Männerpolitik begriffen. Es gab eine Männerkommission, die sich kritisch mit der Männerrolle auseinander gesetzt und etwa die bezahlte Erziehungszeit für Väter ausgedacht hat.

Muss man gleich das Männerbild in Frage stellen, wenn ein paar Typen ihre Aggressionen nicht unter Kontrolle bekommen?

Ein Amokläufer ist nur die Spitze des Eisbergs. Laut Kriminalstatistik werden zwei Drittel der Körperverletzungen von Männern – insbesondere jungen Männern – verübt. Das gilt bei uns doch schon als Alltäglichkeit. Wir haben es bisher nicht geschafft, das Bild des Machtmannes zu relativieren. Männer werden in den Medien weitgehend stereotyp als dieser Machttypus dargestellt. Vor lauter Frauenförderung haben wir das nie beachtet. Dass die meisten Opfer der Gewalt nicht Frauen, sondern Männer sind, wird auch nicht angesprochen. Männer dürfen halt keine Opfer sein und keine Loser.

Höre ich da Wunschdenken? Diese Gesellschaft wird ja kaum den Loser als Leitbild ausrufen.

Ein anderes Männerbild könnte Jungen aber neue Optionen eröffnen, als nur die, dass man entweder Sieger oder Loser ist. Es könnte ihnen ermöglichen, mit Konflikten anders umzugehen.

Der Softie als Leitbild ist auch nur als Lachnummer ein Erfolg.

Es geht nicht um weich sein, sondern um Handlungsalternativen. Mädchen hat man ja auch neue Rollenbestandteile eröffnet. Es könnte auch andersherum sein.

Aber es ist doch gar nicht attraktiv, schwach zu sein. Deshalb wollen die Mädchen ja auch männlicher werden.

Das stimmt so nicht. Erfolgreich sind meines Erachtens die Menschen, die den „Stilmix“ im Verhalten beherrschen. Ein Mensch, der immer konkurriert, wird irgendwann krank und wenig kreativ. Die Pisa-Studie zeigte, dass unser schulisches Leistungsmodell keine optimalen Leistungen hervorbringt. Auch weibliche Empathie ist nicht immer angebracht. Beides muss kontextspezifisch angewandt werden.

Sowohl Jungen als auch Mädchen ist aber in einem bestimmten Alter nichts wichtiger, als sich vom anderen Geschlecht abzugrenzen. Wie weit kommt man da mit Forderungen, Jungen sollen sich bei Mädchen was abgucken?

Es geht nicht darum, dass die einen sich etwas bei den anderen abgucken. Es geht darum, beiden Geschlechtern Wahlmöglichkeiten zur eröffnen und die starren Geschlechterbilder aufzubrechen. Wenn Erzieher ihnen im Kindergarten mal vorlebten, dass Männer auch trösten oder Geschirr spülen können, das würde ihr Bild erweitern.

INTERVIEW: HEIDE OESTREICH