Geschichtszersplitterung

Aufarbeiten, durcharbeiten: … And You Will Know Us by the Trail of Dead setzen auf die normative Kraft des Rituals. Von allen aktuellen Rock-’n’-Roll-Erlöserbands sind sie darum die rock-’n’-rolligste

Kommunikation entsteht durch Symbole, wie die Anthropologie weiß

von ANDREAS HARTMANN

Im Kölner Stadtgarten gab die Band … And You Will Know Us by the Trail of Dead im April ein exklusives „Showcase“-Konzert für ausgesuchte Medienvertreter und Gästelisten-Junkies. Für Köln als Medienstadt ein ganz normales Ereignis: Am selben Abend traten auch die Pet Shop Boys auf, um im geschlossenen Kreis anderen wichtigen Informationsmultiplikatoren erste Einblicke in ihr neues Album zu bieten. Alles ganz normal halt. Bei einer Band wie Trail of Dead fragt man sich allerdings schon, ob hier alles richtig läuft. Schließlich sollte diese später emphatisch ihr komplettes Instrumentarium zu Brei klopfen, während man gerade mit seinem Pressebändchen, das Freibier bis zum Umkippen garantiert, sich wichtig, wichtig vorm Tresen drängelte. Ist die Demonstration von unbändiger Energie und eruptiver Erhabenheit seitens The Trail of Dead vor nicht mal zahlendem Publikum nicht: zu kalkuliert, zu durchschaubar?

Die Veranstaltung bringt das Dilemma, in dem sich die Band aus Austin/Texas befindet, gut zum Ausdruck. Von all den Bands, die seit einiger Zeit wieder Hoffnung auf eine Zukunft des Rock machen – von den White Stripes bis zu Black Rebel Motorcycle Club – sind sie die aggressivste, die urwüchsigste, die rock-’n’-rolligste. Deswegen ist die Authentizitätspolizei dazu befugt, ihr am schnellsten einen Strafzettel zu verpassen, und so ein Mediengig bringt mindestens eine Verwarnung ein. Schließlich haben The Trail of Dead versprochen, den Rockmythos von Aufbruch, bei gleichzeitiger destruktiver Energie, zu sich selbst kommen zu lassen.

Dafür tut die Band alles. Das Treiben auf der Bühne ist hektisch, dauernd werden Instrumente getauscht, und am Ende nimmt jemand den zersplitterten Gitarrenhals als Trophäe mit nach Hause. Aber wird wirklich irgendjemand nach diesem Konzert seinen öden Job kündigen, seine Familie verlassen oder einfach nur nicht zur nächsten Bundestagswahl gehen?

Dabei ist es ist nicht so, als ob die Band nicht wüsste, dass sie sich an längst sinnentleerten Ritualen abarbeitet. Im Gegenteil. Neil Busch, der Bass spielt, singt und „ein wenig“ Gitarre spielt, stellt klar: „Was wir machen, ist Entertainment, das an das Gefühl von damals erinnert, an das golden age of rock ’n’ roll.“ Wofür die Band die Erkenntnisse umsetzt, die die Anthropologin Mary Douglas bereits in ihrer Studie „Ritual, Tabu und Körpersymbolik“ prognostizierte: Für sie wird in einer sich von Ritualen befreiten Gesellschaft irgendwann „der Konflikt sichtbar zwischen der antiritualistischen Grundeinstellung und der auf die Dauer unumgänglichen Notwendigkeit, ein kohärentes Ausdruckssystem zu entwickeln; und dann beginnt die Wiedereinsetzung des Ritualismus innerhalb des neuen Kontexts von sozialen Beziehungen“. Fast analog dazu meint Neil Busch: „Hinter einem Rockkonzert steht die Idee, ein Publikum in ein Ritual mit hineinzuziehen. Wie bei einem HipHop-Gig, wo die Leute dieselben Klamotten tragen, auf dieselbe Ästhetik stehen und so eine Gemeinschaft bilden.“

„Wenn überhaupt Kommunikation stattfinden soll, müssen strukturierte Symbole zur Verfügung stehen“, so Mary Douglas. The Trail of Dead, die eben diese Kommunikation mit ihrem Publikum suchen, haben deswegen auch keine Angst vor einer möglichen Pejoration von Symbolen. Auch wenn es all das, was die Band darbietet, in den Sixties und im Punk schon einmal gegeben hat. Dann wird der ganze Rock-’n’-Roll-Kram eben zum 150sten Mal ausgegraben. Alles andere würde Eskapismus bedeuten, und man könnte als Band gleich kollektiv die eigene Unterschrift unter die Aussage setzen: Rock ist tot.

Natürlich liegt das aktuelle Interesse an The Trail of Dead auch darin begründet, dass Popmusik eine Geschichte von Trends und Gegentrends fortschreibt. Vor kurzem kam man noch ganz gut ohne harte Gitarren und authentizitätssüchtigen Neo-Punk aus, während derzeit eine Rock-Erlöserband nach der anderen ausgerufen wird. Eine Sehnsucht nach Bedeutung hinter den Versprechen von Rock ist wieder spürbar. Neil Busch: „Zu einem großen Teil haben wir ein sehr junges Publikum. Dieses hat von den Stooges und den MC 5 gehört. Es fragt aber: Wo ist das Rituelle dieser Bands heute geblieben, wo finde ich es für mich? Ältere dagegen, manche von ihnen haben tatsächlich bereits The Who in den Sixties gesehen, kommen zu unseren Konzerten, weil da eine Band eine Tradition fortführt, die auf Emotionen und Performance aufbaut.“

The Trail of Dead ist eine Band, die, ihrer selbst gestellten Aufgabe folgend, auf unpenetrante Art versucht, alles richtig zu machen. Sie breitet ihren Quellcode sozusagen vor uns aus, damit man ihn benutzen kann. Alles verweist auf irgendetwas, man muss nur genau hinschauen. The Trail of Dead stellt sich in die Tradition von texanischen Psychedelic-Bands wie den 13th Floor Elevators bis zu den Butthole Surfers genauso wie in die von Achtziger-Hardcore aus Washington DC, und ihre Platte wurde mit analogem Equipment eingespielt, um an The Who zu erinnern. The Trail of Dead untersuchen Mythen und Ikonografien, ihre letzte Platte hieß „Madonna“ und ihr Bandname bezieht sich auf einen bizarren Mayakult – eine Art Basketball, bei dem, so Busch, „der Kopf des Verlierers vom letzten Mal als Spielball verwendet wurde“. Allein ihr Plattentitel „Source Tags & Codes“ stellt unumwunden die Frage: Wo kommen all die Zeichensysteme um uns herum eigentlich her?

Neil Busch meint: „Unsere Platte klingt nach ‚ich will diese Band live sehen‘. Und wenn man sie dann live sieht, die Band, erzeugt das Konzert „vielleicht die Erkenntnis: Ich muss nicht tun, was mir gesagt wird, ich kann tun, was ich will.“ Agitation durch Entertainment – die Revolution, die eine politische Band wie MC 5 auslösen wollte, soll bei The Trail of Dead eher auf persönlicher Ebene stattfinden. Dabei nimmt man das ganze Brimborium der Zeichen, das man zu diesem Zweck vorgibt zu verhandeln, glücklicherweise selbst nicht peinlich ernst. „Manchmal“, so Kevin Allen, Gitarrist der Band, „klingt es einfach nur gut, wenn die Gitarre zerschmettert wird.“ Das wiederum entschuldigt einiges von dem, was beim „Showcase“-Konzert im Kölner Stadtgarten wie eine gut erprobte Zirkusnummer wirkte.

4. 5. Bielefeld, 6. 5. Hamburg, 7. 5. Wiesbaden, 8. 5. Berlin, 9. 5. München