Wo sind denn die Blumen geblieben?

In dem Bilderbuch gelesen, das das Leben der Dietrich war: Mit „Marlene Dietrich – Her Own Song“ hat J. David Riva, Enkel der Diva, einen Dokumentarfilm über seine Großmutter gedreht – und ganz andere Seiten an ihr zutage gefördert

von JULIAN WEBER

Vorhang, Beifall, Zapfenstreich. Regisseur J. David Riva, Marlene Dietrichs Enkel, beginnt den Dokumentarfilm Marlene Dietrich – Her Own Song über seine berühmte Großmutter mit nüchternem militärischen Zeremoniell. Durchaus ein passender Einstieg, denn Militär – so erfährt man – hat für Marlene Dietrich Zeit ihres Lebens nicht nur auf der Leinwand eine große Rolle gespielt.

Die Erziehung verlief nach strengen preußischen Prinzipien. Der Vater, ein Soldat. Der Stiefvater, ein Soldat. Die Liebe zum französischen Schauspieler Jean Gabin: gescheitert, weil der lieber als Panzerfahrer gegen die Nazis in den Krieg zog. Selbst als die Dietrich in den Sechziger Jahren in Las Vegas für ehemalige amerikanische Soldaten sang, sprach sie noch von „my boys“. Her own Song zeigt Marlene Dietrich vor allem als Angehörige der Kriegsgeneration. Dabei räumt der Film natürlich nicht mit den letzten Zweifeln in Dietrichs Biografie auf. Zu wenig wird das Buhlen von Hollywood und den Nationalsozialisten um ihre Person aufgeklärt.

Rivas Fokus liegt auf der Familie von Marlene Dietrich (Tochter und Neffe kommen ausführlich zu Wort). So erfährt man, dass die Schwester der Dietrich in dem Ort Belsen für die SS-Schergen des dortigen KZs ein Kino betrieben hat. Bekannte und weniger bekannte Begebenheiten ihrer Schauspiel-Karriere unterlegt Riva mit privaten Filmaufnahmen von Reisen, und schneidet sie zwischen Ausschnitte aus Wochenschauen und Nazi-Propagandafilme.

Die Schauspielerin Hanna Schygulla liest Passagen aus Marlene Dietrichs Tagebüchern und Briefen mit poetisierender Stimme vor. Aufnahmen von Leni Riefenstahl-Masseninszenierungen bleiben dagegen leider unkommentiert. Auch manches private Detail wird diskret ausgespart, die meisten LiebhaberInnen erwähnt Riva erst gar nicht. Dafür wird Dietrichs aktiver Einsatz für die US-Army im zweiten Weltkrieg beleuchtet: Zuerst serviert sie Schinken-Sandwiches für die GIs an der Heimatfront, dann fährt sie im offenen Jeep durch Frankreich, um den Vormarsch der US-Truppen gegen die Nazis zu unterstützen.

Marlene Dietrichs Schwanengesang „Lili Marleen“ taucht an verschiedenen Stellen des Films auf, und seine pathetischen Zeilen „Vor der Kaserne, vor dem großen Tor“ erhalten eine eigenartige Wendung, wenn überlebende ehemalige Wehrmachtssoldaten (vor dem Hintergrund eines Soldatenfriedhofs) und GIs darüber reden. Selbst heute, zehn Jahre nach dem Tod von Marlene Dietrich, tobt noch die Schlacht um die Bedeutung ihres Lieds. Mit „Sag mir, wo die Blumen sind“ gelingt ihr jedoch ein eindeutiges Anti-Kriegslied.

Dass das Image eines Stars zum verminten Gelände werden kann, dafür gibt es zahllose Beispiele. Um so erstaunlicher, wie leicht ein Image durch Einstreuen weniger bekannter Bilder kippt. Den Aussagen biografischer Experten stellt Riva Probeaufnahmen von Der blaue Engel gegenüber. Wie die junge Marlene Dietrich 1929 das Blasen von Zigarettenrauch übt, sieht eher nach irdisch schönem Berliner Riotgirl aus, als nach ätherischem Geschöpf mit preußischen Wurzeln. In den wenigen Dietrich-Interviews (mit dem schwedischen und belgischen Fernsehen) nach dem zweiten Weltkrieg, sieht man keine Diva, sondern eine ältere Frau mit verhärteten Gesichtszügen.

Über ihre Behandlung durch die deutsche Presse sei sie unglücklich, sagt sie noch 1960 in die Kamera. Die Nazijägerin Beate Klarsfeld beschreibt, wie sich Marlene Dietrich auch im betagten Alter höflich am Telefon nach dem Stand der Ermittlungen zum Fall von Klaus Barbie erkundigte. Und Big Brother gab es in Hollywood auch schon in den Dreißigern: So berichtet ihre Tochter, wie Nachbarin Greta Garbo häufig auf die Mülltonne stieg, um das Treiben im Garten von Marlene Dietrich und Jean Gabin beobachten zu können.

Sa, 4.5. + Di, 7.5., 17 Uhr, Mi, 8.5., 21.15 Uhr, Metropolis; ab 9.5. im 3001