Am Ende bist du ein Monster

Walk on the mild side: „In Your Face“, die Retrospektive des US-amerikanischen Malers Alex Katz in der Bundeskunsthalle Bonn. Entwürfe für eine Welt, die im Oberflächentaumel stillzustehen scheint

Regentage wie in Truffaut-Filmen. Teenager, die blicken wie bei Larry ClarkKönnte Ada nicht schon Henri Matisse Modell gestanden haben?

von HARALD FRICKE

Im Oktober 1996 wurde für das Colby College Museum von Waterville, Maine, ein neuer Flügel mit über 900 Quadratmetern Ausstellungsfläche eingerichtet. Genug Platz für ein Lebenswerk. Denn der einzige Künstler, der in diesen Räumen heute gezeigt wird, heißt: Alex Katz. Das Haus ist damit zu einer Pilgerstätte der US-amerikanischen Malerei des 20. Jahrhunderts geworden, immerhin besitzt das Museum über 400 Arbeiten von Katz, vor allem Tafelbilder, aber auch Collagen, Drucke und Zeichnungen.

Auf ein ähnliches Raummaß kommt auch die Retrospektive, die die Bundeskunsthalle in Bonn für Katz eingerichtet hat. Dabei ist die Zahl der Gemälde durchaus begrenzt: Mit etwa 45 Bildern aus knapp 50 Jahren entsteht ein Überblick, der das Werk mehr umreißt, als dass die Malerei genau im Dickicht der Kunstgeschichte verortet würde. Vielleicht, weil bei dem 1927 in Brooklyn geborenen Katz alles stets so eindeutig scheint. Realismus, klare Figuren, ein Hang zu Pop – solche Begriffe hat man schnell parat, wenn man vor überdimensionalen Gartenpartys oder den fashionablen Porträts seiner Ehefrau Ada steht. Aber dann gibt es auch abstrakte Landschaften: Forsythien in sonnenhell aufgelöstem Gelb, undurchdringlich grün brandende Schaumkronen am Meer und dazu ganze Wände, auf denen ein moorbrauner Bach über dunklem Nichts langschlängelt.

Offenbar ist Katz ein Maler, der sich nicht festgelegt hat, als in der Kunst Gruppen gebildet und Positionen markiert wurden. Dieser Eigensinn mag ihm zumindest im Europa der Sechziger-, Siebziger- und Achtzigerjahre geschadet haben: Katz war auf keiner documenta vertreten, Katz wurde im Zuge der Auseinandersetzungen um das Erbe der Pop-Art meistens vergessen. Da nützte es wenig, dass er bereits 1962 in Martha Jacksons New Yorker Galerie – ein Jahr nach Claes Oldenburgs popgeschichtsschreibender „Store“-Installation – seine Cut-out-Figuren ausstellte. Als Katz anfing, spröde Cinemascope-Figuren zu malen, die einsam vor monochromen Hintergründen standen, wollte das Publikum lieber vor Jackson Pollocks Drip-Ekstasen über „Abstraktion als Weltsprache“ meditieren; als er später gemalte Billboards am Time Square in Manhattan präsentierte, hielt man die Arbeiten für einen Abklatsch von Warhols Werbewelten. Und weil er sich über diese Ablehnung sehr geärgert hat, wurden die Formate nur umso größer: „Die Leute schubsen dich rum, du schubst zurück, und am Ende bist du ein großes, aggressives Monster“, erinnert sich Katz im Katalog zur Bonner Ausstellung. Was das Monster malte, war trotzdem ein walk on the mild side: Regentage wie in Truffautfilmen, Teenager, die ein bisschen haschverhangen blinzeln wie Kids auf Fotos von Larry Clark. Der Alltag kennt keine Anstrengung, nur das Leben.

Irgendwann hat sich der britische Sammler Charles Saatchi der Schieflage in Sachen Ruhm angenommen und mit Beginn der Neunzigerjahre gleich dutzendweise Katz gekauft. Ein Deal mit Folgen: Plötzlich galt der zurückgezogen lebende Maler aus New York als Wegbereiter einer Ästhetik des Cool, seine Bilder standen für das Stilbewusstsein einer upper middle class, die Mode und Images als Inszenierung einer trägen, selbstzufriedenen Großstadtintellektualität zu lesen verstand – leicht boring und sehr blasé. Gesellschaftliche Stimmung und individueller Ausdruck ließen sich da kaum unterscheiden, vor dem Bild war auf dem Bild. Katz hat diese Vereinnahmung durch Affirmation gefallen, so wie er in einem Interview an den Gemälden von Julian Schnabel lobte: „Leute sehen großartig vor ihnen aus.“

Auch in Bonn sehen die Besucher großartig aus vor Katz’ Bildern, passen die Chanel-Hüte und scharzen Outfits während der Eröffnung hervorragend zu den grauen Anzugflächen etwa auf „Pas de Deux“ von 1983. Doch in dieser vermeintlichen Gleichzeitigkeit liegt eine distanzierte Ironie, die Katz seit seinen Anfängen mit einem ungeheuren Understatement vorangetrieben hat: Der Zeitgeist von einst ist im Jetzt aufgehoben – und das Jetzt trägt das Antlitz längst vergangener Erscheinungen. Könnte „Ada with Bathing Cap“ (1965) nicht schon dem französischen Nachimpressionisten Henri Matisse Modell gestanden haben? Sind die Landschaftsbilder aus Maine nicht späte Widergänger der Pleinair-Malerei? Hat sich überhaupt etwas verändert zwischen 1882 und 2002?

Tatsächlich sind die tiefgefrorenen Momente der Katz’schen Malerei nicht im Lifestyle der jeweiligen Epoche verortbar. Sie transportieren eine Typologie, in der Reduktion ein Mehr an Möglichkeiten meint: puristische Farbbegeisterung, unterkühlte Lounge-Eleganz und modernistisches Gegenwartsdekor. In einer Welt des Äußeren, im Oberflächentaumel all der unmittelbaren Wahrnehmungen, scheint die Zeit stillzustehen. Das ist zugespitzt die Losung, nach der Katz seine Motive in Schwingung bringt. Nichts Sichtbares ist ihm fremd, alles wird Teil der einen Situation: Malerei. Deshalb arbeitet er im Grunde „seit mehr als 40 Jahren an einem Bild“, wie der Bundeskunsthallen-Kurator Kay Heymer in seinem Katalogvorwort schreibt. Dass es bei Katz auch mit 75 Jahren bald täglich immer noch mehr Bilder werden, liegt an der unendlichen Abfolge von Augenblicken, von denen einer dem anderen doch nie gleichen wird. Was er sieht, altert nicht; was gemalt ist, noch weniger. Damit kann man leben, am besten in Waterville, Maine.

Bis 18. August, Bundeskunsthalle Bonn.Katalog: 19,90 €