Balkan von unten

Geschichte in Augenzeugenberichten: Ein österreichischer Geschäftsmann wird Zeuge des Zerfalls Jugoslawiens

Kurt Köpruners Buch „Reisen in das Land der Kriege“ bietet einen interessanten und gleichzeitig verständlichen Zugang in eine an sich hoch komplexe Geschichte. „Erlebnisse eines Fremden in Jugoslawien“ lautet der Untertitel, und tatsächlich gelingt es dem österreichischen Geschäftsmann nachzuzeichnen, wie schnell ein politisch durchschnittlich interessierter Reisender damals in die balkanischen Sezessionskriege hineingezogen werden konnte.

Dabei geht Köpruner zweigleisig vor. Zum einen beschreibt er über persönliche Erlebnisse, wie der Virus des Ethnonationalismus im Sommer 1991 fast alle Jugoslawen erfassen konnte – selbst solche, die kurz vorher noch überzeugte Anhänger eines gemeinsamen Staates gewesen waren. Freunde und Bekannte Köpruners kommen zu Wort, aber auch dem Autor fremde Menschen schildern Ereignisse, die in deutschen Zeitungen und Zeitschriften nie auftauchten.

Gleich zu Beginn seiner Reisen auf dem Balkan erfährt Köpruner so von einem erschreckenden Fall: In der „dalmatinischen Kristallnacht“ zerstörte ein kroatischer Mob schon im Mai 1991 Dutzende Juweliergeschäfte, Bäckereien und Büros serbischer Bewohner der Adria-Stadt Zadar. Der Autor fasst zusammen: „Seit einem halben Jahr verfolge ich alles, was über dieses Land berichtet wird, fast täglich – und muss dann feststellen, dass ich keine blasse Ahnung habe, was da wirklich los ist.“

Mit dieser Erkenntnis eröffnet Köpruner den zweiten, medienkritischen Strang des Buches. Aus Enttäuschung über die offensichtlichen Fehlinformationen in den westlichen Medien entwickelt er eine eigene Sicht auf die Entstehung der neuen Balkankriege. Und so lange seine Analysen von den Berichten zahlreicher lokaler Akteure untermauert werden, geht dieser Versuch, Gegenöffentlichkeit zu schaffen, auch auf.

Weiter hinten jedoch gelingt Köpruner der Spagat zwischen einer an den Aussagen einfacher Bürger orientierten Geschichtsschreibung von unten und der großen politischen Analyse nicht mehr so richtig. Zur Rolle von Bundesregierung und Nato im Vorfeld des Kosovokrieges ist bereits Besseres geschrieben worden. Nach den dichten Detailschilderungen aus dem Bosnien- und dem Kroatienkrieg bleibt hier die Beschreibung merkwürdig blass.

Dennoch kommt Köpruners Kritik erfrischend unideologisch daher. Denn bei allem berechtigten Ärger über die unrühmliche Rolle Deutschlands und die Unausgewogenheit der Kriegsberichterstattung hierzulande, kommt der Autor nie auf die Idee, die Verbrechen Slobodan Milošević’ zu verteidigen. Nicht nur das unterscheidet ihn von Autoren mit ähnlicher politischer Stoßrichtung. Während Jürgen Elsässer („Kriegsverbrechen. Die tödlichen Lügen der Bundesregierung“) oder Matthias Küntzel („Der Weg in den Krieg“) ihre Analysen auf unzähligen Zeitungsschnipseln aufbauen, überzeugt Köpruners Buch durch die Augenzeugenberichte von vor Ort – nach wie vor der glaubwürdigste Weg, Leserinnen und Leser für die politische Situation in Südosteuropa zu interessieren. Auch drei Jahre nach dem vorläufigen Ende der neuen Balkankriege. MARKUS BICKEL

Kurt Köpruner: „Reisen in das Land der Kriege. Erlebnisse eines Fremden in Jugoslawien“, Espresso Verlag, 19,90 €