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: Für diese Rede hätte er nicht nach Berlin zu kommen brauchen

Wenn eine Rede schon im Vorfeld als historisch bedeutungsvoll bezeichnet wird, dann hinterlässt diese hohe Messlatte selbst nach eindrucksvollen Ansprachen oft ein Gefühl der Enttäuschung. Aber der Auftritt von US-Präsident George Bush im Bundestag hätte auch erheblich geringeren Ansprüchen nicht genügen können. Im Ton ungemein verbindlich, in der Sache aber ganz unverbindlich gegenüber allen europäischen Wünschen an die USA – und darüber hinaus für kritische Einwände unzugänglich: Für diese Rede hätte Bush nicht nach Berlin zu kommen brauchen. Was er gestern zu sagen hatte, hat er in Washington schon oft genug gesagt.

Um für gute Stimmung zu sorgen, warf der US-Präsident immerhin ein paar Zuckerstückchen ins Publikum. Er sprach von der neuen Partnerschaft zwischen Russland und der westlichen Welt, kündigte größere Hilfen für politisch genehme Entwicklungsländer an und lobte in artigen Worten die europäischen Verbündeten, Deutschland ganz besonders. Außerdem sollen alle Freunde durchaus konsultiert werden, wenn die USA neue Militäroperationen planen. Damit war die Zuckertüte dann allerdings auch schon leer.

Bush ließ keinen Zweifel daran, dass die USA sich von den Verbündeten an nichts hindern lassen werden und auch zu militärischen Alleingängen bereit sind. Die neue Rolle der Nato sieht er im Kampf gegen den Terror. Dafür müsse das Militärbündnis neue Fähigkeiten entwickeln. Die freie Welt werde erpressbar, sagte der US-Präsident, wenn sie die Bedrohung durch Massenvernichtungswaffen in den Händen jener ignoriere, die sich als „Achse des Bösen“ bezeichnen ließen. Er nannte den Irak zwar nicht beim Namen. Aber wer – wie Bundeskanzler Gerhard Schröder – jetzt noch immer meint, man solle nicht über die Möglichkeit eines US-Angriffs auf dieses Land spekulieren, der hat dem Gast aus Washington nicht zugehört. Oder wollte ihm nicht zuhören.

Was unter freundschaftlicher Offenheit verstanden werden kann, hat übrigens gestern Bundestagspräsident Wolfgang Thierse gezeigt. Er sparte kritische Fragen nicht aus, als er George Bush im Parlament begrüßte. Vom notwendigen Schutz der Biosphäre, von der Bedeutung des Internationalen Strafgerichtshofes und vom Wunsch nach gemeinsamen Maßnahmen gegen eine entfesselte Ökonomie sprach der SPD-Politiker. Und dann wagte er sogar den Hinweis, dass keine Koalition dringlicher sei als die für den Frieden auf der Welt. Bis vor wenigen Monaten wäre ein solcher Satz eine Plattitüde gewesen. Inzwischen zeugt es von Mut, wenn ein Spitzenpolitiker der rot-grünen Koalition ihn ausspricht.

Beim US-Präsidenten dürfte Thierse damit auf taube Ohren gestoßen sein. Der verglich die Terroranschläge vom 11. September gestern ein weiteres Mal mit dem japanischen Angriff auf Pearl Harbor im Zweiten Weltkrieg. Historisch hinkt dieser Vergleich nicht nur – er lahmt. Aber er wirft ein Schlaglicht auf den vielleicht entscheidenden Unterschied zwischen den USA und Europa: Die Vereinigten Staaten befinden sich der eigenen Wahrnehmung zufolge im Krieg. Die meisten europäischen Verbündeten hoffen, Krieg verhindern zu können. Zu einem besseren wechselseitigen Verständnis scheint der Besuch von George Bush in Berlin nicht beigetragen zu haben. Nicht einmal dazu. BETTINA GAUS