Ein Sofa von der „Juden-Auktion“

Eine Dokumentationsreihe im HR beschäftigt sich mit dem Raubzug gegen die Juden während der NS-Zeit

Nur Nähe weckt Betroffenheit. Der Flugzeugabsturz vor der Küste Taiwans mit über 225 Toten bewegt die Gemüter weit weniger als ein Massaker in Erfurt mit 18 Toten. Dieses Wahrnehmungsphänomen räumlicher (und zeitlicher) Nähe ist zugleich ein Problem bei der Erinnerung an die Schoah, dem Völkermord an den Juden während des Zweiten Weltkriegs: Sechs Millionen Tote in den Vernichtungslagern – das ist abstrakt, unfassbar. Aber auf Omas Sofa zu sitzen, das sie vor 60 Jahren auf einer Auktion von Möbeln ersteigerte, die zuvor deportierten Juden gehörten – das lässt etwas von dem Grauen der Schoah erahnen.

Ins teuflische Detail zu gehen, räumliche Nähe zu suchen, genaue Namen, Orte und Schuldige zu benennen – diese schmerzhafte Genauigkeit ist eine der großen Vorzüge der dreiteiligen Sendereihe „Raubzug gegen die Juden“, die gestern Abend im Hessischen Rundfunk anlief. Die Autoren schilderten eindringlich, wie hessische Juden von staatlichen Stellen regelrecht ausgepresst, ihr Besitz an „ordinary Germans“, biedere Mitbürger und skrupellose Schnäppchenjäger, verscherbelt wurde.

Am 5. Juni ist ein Beitrag über die Dresdner Bank und ihre Geschichte bei der „Arisierung“ jüdischen Vermögens zu sehen. Eine Woche später werden die geheimen Geschäfte der Firma Otto Wolff geschildert. Doch so (wirtschafts-)politisch brisant diese beiden späteren Folgen sind, anregender, da geradezu beschämend ist die Dokumentation über den „großen Raub“ an den Juden, also die Übeltaten des kleinen Mannes etwa bei Auktionen von Gütern deportierter Juden: Beutegut für den einfachen Volksgenossen. Wird doch hier deutlich, dass so unfassbar viele Deutsche am Völkermord ganz direkt profitierten. Angesichts der öffentlichen, in den Zeitungen angekündigten und teils großen „Juden-Auktionen“ ist die Mär vom „Wirhaben doch nichts gewusst“ kaum mehr zu halten. Und diese bedrückende Geschichte war mit dem Ende des Krieges keineswegs beendet.

Vielen Juden wurde nach 1945 keinerlei Entschädigung zugebilligt. Die Großmutter der Wiesbadenerin Charlotte Opfermann beging Selbstmord vor der Deportation ins KZ Theresienstadt. Als ihre Tochter und Enkelin nach dem Krieg ihr Eigentum zurückhaben wollten, verweigerten ihnen die „arischen“ Neubesitzer ihrer Güter jegliche Entschädigung mit dem Verweis auf die Bombennächte, unter denen sie unter ihren Freunden, den Alliierten, gelitten hätten – gleichzeitig war der Tisch gedeckt mit Silberbesteck, das noch das Monogramm der Mutter Opfermann trug.

Die Autoren der Dokumentation fassen die Nachkriegsstimmung etwas pathetisch so zusammen: „Der Unrechtsstaat war besiegt – nicht aber die Gefühlskälte, die ihn möglich machte.“ Deshalb: Fragen Sie einfach mal nach, woher die alte Bibliothek Ihres Großvaters stammt! PHILIPP GESSLER

Das Frankfurter Fritz Bauer Institut zeigt in der hr-Goldhalle im Funkhaus eine Ausstellung dazu