Der Krimi nach dem Terror

Die jüngste Folge des Tatorts steht ganz im Zeichen der Ereignisse vom 11. September. Allerdings nicht bloß, weil es um eine Flugzeugentführung geht („Der Passagier“, So., 20.20 Uhr, ARD)

von CHRISTIAN BUSS

Beim „Tatort“ beginnt am Sonntag eine neue Zeitrechnung – die Ära nach dem 11. September. „Der Passagier“ ist die erste Folge der Krimiserie, der man in jeder Szene anmerkt, dass sie nach den Terroranschlägen gedreht wurde. Es geht um eine Flugzeugentführung, aber das ist nicht einmal der Grund, weshalb man an die Ereignisse von New York und Washington erinnert wird. Vielmehr weht durch die jüngste Episode des bislang eher wohl temperierten Serials ein ungewohnt eisiger Wind der Verbrechensbekämpfung.

Für alle nicht so wetterfühligen Zuschauer macht der Hamburger Hauptkommissar Casstorff (Robert Atzorn) eine klare Ansage zum Klimawechsel: „Die Zeiten haben sich geändert“, sagt er zum Vater der Luftpiraten, „wo die Polizei früher basisdemokratisch mit Samthandschuhen und Täterverständnis dranging, wird ab dem 11. September zugelangt.“ Das ist ein ziemlich beunruhigender Satz. Denn zum einen könnte er auch aus dem Mund des rechtspopulistischen Hamburger Innensenators Ronald Schill kommen, der in der Terrorismusbekämpfung ein gutes Argument sieht, um mit den Softie-Methoden seiner sozialdemokratischen Vorgänger aufzuräumen. Zum anderen weiß das Publikum nicht recht, ob Ermittler Casstorff, der sich zuvor als nachdenklicher Mensch erwiesen hat, die neue Härte im Geschäft gutheißt oder ablehnt. Mit Verhandlungen, so viel ist klar, kommt man in diesem Fall jedenfalls nicht weiter. Die Polizeipsychologin (Monika Bleibtreu) muss bald kapitulieren und sitzt nur nutzlos am Flughafen rum.

Bleibt die Frage, welche Position der Film einnimmt. Will Drehbuchautor und Regisseur Thomas Bohn die neue Härte legitimieren? Der finale Rettungsschuss jedenfalls wird hier ganz selbstverständlich als Möglichkeit der Konfliktlösung in den Raum gestellt – früher hätte diese Option dramaturgisch zumindest problematisiert werden müssen. Mit einem gewissen Erregungspotenzial inszeniert wird aber lediglich die Erwägung der SEK-Leute, die gekaperte Boeing 737 mitsamt den Passagieren auf dem Rollfeld in die Luft fliegen zu lassen.

Immerhin muss man dem NDR zugute halten, dass er dieses schon vor dem 11. September geplante Projekt durchgezogen hat. Wie verunsichert andere Sender im Umgang mit heiklen Themen sind, ist im Moment wieder zu spüren, wo in Folge der Ereignisse von Erfurt sämtliche Filme, in denen auch nur das Wort „Amoklauf“ ausgesprochen wird, ersatzlos aus dem Produktionsplan gestrichen werden. Die Redaktion des NDR aber setzte den Entführungsthriller gegen jeden Widerstand durch. Denn Flughäfen und Airlines verweigerten nach den Terroranschlägen die Zusammenarbeit, so dass die Kulissen in den Hamburger Messehallen nachgebaut werden mussten. Für einen Regisseur wie Bohn sind solche Simulationen im Übrigen kein Problem: Er hatte ja schon mal für einen SWR-Tatort, der in Kalifornien spielt, die berühmten Hollywood-Leuchtbuchstaben in Baden-Baden aufflackern lassen.