„Die Fußfessel diszipliniert“

Interview CHRISTIAN RATH

taz: Herr Albrecht, wie funktioniert eine elektronische Fußfessel?

Hans-Jörg Albrecht: Am Unterschenkel des Betroffenen wird ein armbanduhrgroßer Sender befestigt. Dieser kommuniziert über das heimische Telefon mit einem Zentralcomputer. So kann überprüft werden, ob sich der Betroffene zu den vereinbarten Zeiten zu Hause aufhält.

Wird die Fußfessel bald auch in Deutschland routinemäßig angewandt?

Davon bin ich überzeugt. Diese neue Technik hat sich in zahlreichen europäischen Staaten sowie in den USA und Kanada bewährt. Auch der deutsche Modellversuch in Hessen ist erfolgreich. In einigen Jahren wird sich die neue Technik auch in Deutschland durchgesetzt haben.

Darf der Täter das Haus verlassen?

Natürlich. Er geht zur Arbeit, zur Therapie und zu anderen Aktivitäten, die für seine Entwicklung hilfreich sind. Der oft benutzte Begriff „elektronisch überwachter Hausarrest“ ist daher unglücklich. Denn so ist der falsche Eindruck entstanden, dass Straftäter hier den ganzen Tag zu Hause sitzen und fernsehen.

Worin besteht nun die Sanktion, wenn ein verurteilter Straftäter eigentlich ein ganz normales Leben weiterlebt?

Für viele Straftäter ist es überhaupt nicht normal, ein geregeltes Leben zu führen, die permanente Kontrolle ihres Tagesablaufs ist sehr anstrengend für sie.

Ist bei diesen Tages- und Wochenplänen auch Freizeit vorgesehen?

Ja, aber hier sollte man noch flexibler sein. Die elektronische Überwachung sollte zum Beispiel nicht den Kontakt mit Verwandten und Freunden verhindern, die normorientiert und sozial integriert leben.

Wer legt die Tages- und Wochenpläne fest?

In Hessen werden die Pläne von den Bewährungshelfern in Absprache mit den Programmteilnehmern festgelegt und vom Gericht genehmigt. Der Verurteilte verpflichtet sich, Vereinbarungen einzuhalten, auf deren Inhalt er auch Einfluss nehmen kann.

Ist die elektronische Überwachung tatsächlich eine Alternative zum Gefängnis?

Nach den bisherigen Erfahrungen, auch in anderen europäischen Staaten, handelt es sich überwiegend um eine Alternative zur Freiheitsstrafe. Richter geben einem Straftäter, den sie eigentlich ins Gefängnis schicken würden, noch einmal eine Chance. In Einzelfällen ist es aber auch richtig, eine Bewährungsstrafe rigider auszugestalten.

Für welche Art von Straftätern eignet sich die elektronische Überwachung vor allem?

Eigentlich in allen bisher diskutierten Konstellationen: als Ersatz bei unbezahlten Geldstrafen, als zusätzliche Bewährungsauflage, als eigenständige Sanktion bei leichter Kriminalität, zur Vorbereitung auf die Freilassung bei langjährig Inhaftierten und zur Vermeidung von Untersuchungshaft. Gerade das ist wichtig. Immerhin sind 25 Prozent der deutschen Häftlinge noch nicht rechtskräftig verurteilt, und fast immer wird die U-Haft mit Fluchtgefahr begründet.

Ist die elektronische Überwachung eine Liberalisierung?

Es ist jedenfalls keine Verschärfung.

Tendenziell können also Haftplätze eingespart werden?

Ja, von 72.000 Gefangenen in Deutschland könnte bei rund vier bis fünf Prozent die elektronische Überwachung angewandt werden. Das wäre eine deutliche Entlastung für die überfüllten Haftanstalten.

Haben also auch die Finanzminister ein Interesse an der elektronischen Überwachung?

Mag sein, aber im Vordergrund sollten kriminalpolitische Überlegungen stehen.

Bei uneinbringlichen Geldstrafen fordern die Justizminister von Bund und Ländern derzeit doch eher gemeinnützige Arbeit.

Das schließt sich nicht aus. Es gibt ja auch Straftäter, die gar nicht arbeitsfähig sind, weil sie etwa zu alt oder suchtmittelabhängig sind.

Auch Drogenabhängige kommen für die Überwachung in Betracht?

Warum nicht? Jedenfalls eher als sozial angepasste Täter, die wegen Steuerhinterziehung oder Trunkenheitsfahrten verurteilt wurden. Diese haben ohnehin einen geregelten Tagesablauf, hier genügt deshalb die gewöhnliche Bewährungshilfe.

Aus den USA hört man, dass sozial integrierte Täter besonders gerne elektronisch überwacht werden, weil sie so wenig Ärger machen.

Die sind überall „begehrt“, auch im Gefängnis. Aber die Praxis in Europa zeigt, dass man hier nicht den einfachen Weg geht und auch eine problematische Klientel in die Überwachung einbezieht.

Wie oft scheitern solche Maßnahmen?

Im hessischen Modellversuch mussten nur zehn Prozent der Teilnehmer doch noch ins Gefängnis, weil sie sich nicht an die Regeln hielten. Das zeigt, welch hohe disziplinierende Wirkung die elektronische Überwachung hat.

Wie empfinden die Teilnehmer des Modellversuchs die neue Sanktionsform?

Sie empfinden sie viel intensiver als eine normale Bewährung. Der Sender an ihrem Bein erinnert sie ständig daran, dass sie sich nichts zuschulden kommen lassen dürfen. Und das regelmäßige Gespräch über Zeitpläne führt zu einem viel intensiveren Kontakt mit den Bewährungshelfern.

Wenn dem Bewährungshelfer eine verspätete Heimkehr gemeldet wird, etwa weil ein Bus verpasst wurde, ist das also zugleich ein neuer Kommunikationsanlass?

So könnte man sagen. Die Überwachung sorgt dafür, dass die Bewährungshelfer mehr über ihre Schützlinge wissen und besseren persönlichen Kontakt haben.

Rot-Grün hat jetzt einen Gesetzentwurf über alternative Sanktionsformen vorgelegt. Darin ist die elektronische Überwachung nicht einmal erwähnt. Sind Sie enttäuscht?

Das war abzusehen. Vor allem die Grünen haben noch zu viele Vorbehalte gegen diese Technologie, die sie – fälschlicherweise – für ein Symbol des Überwachungsstaates halten.

Hauptargument der Grünen ist, dass es vor allem zu Aggressionen gegenüber Ehefrauen und Kindern führe, wenn ein Täter zu Hause lebt.

Es gibt im hessischen Modellversuch und in den anderen Staaten keine Hinweise auf solche Folgen. Der Täter ist ja auch nicht den ganzen Tag zu Hause. Außerdem haben Angehörige, die im selben Haushalt leben, ein Vetorecht und können die Maßnahme verhindern oder ihren Abbruch erzwingen.

Reichen die Erfahrungen mit dem hessischen Modellversuch aus, um diese Sanktionsform flächendeckend einzuführen?

Ja. In Hessen konnten zwar nicht alle Konstellationen erprobt werden, da der Bundestag eine Experimentierklausel im Strafvollzugsgesetz abgelehnt hat. Hier kann aber auf die Erfahrungen anderer Länder zurückgegriffen werden.

Wie ausgereift ist die Technik der elektronischen Überwachung?

Die Fußfessel der ersten Generation, bei der nur die Anwesenheit an bestimmten Orten kontrolliert wird, hat sich bewährt und ist absolut praxistauglich.

Was versteht man unter einer Fußfessel der zweiten Generation?

Bei der zweiten Generation ist eine jederzeitige Ortung des Überwachten möglich. Diese – aufwändigere – Technik ist sinnvoll, wenn es etwa um den Opferschutz geht. So wird in der Zentrale Alarm geschlagen, wenn sich der Täter seinem Opfer unerlaubt nähert.

Gibt es auch Fußfesseln der dritten Generation?

Ja. Hier wird auf eine Grenzüberschreitung direkt reagiert, indem die Technik zum Beispiel Stromstöße oder Hupsignale auslöst. Eine derartige Technologie könnte in Frage kommen, um etwa Gewalt- und Sexualtäter bei einem Ausgang zu überwachen.

Sind die Systeme ausgereift?

Sie sind technisch einsatzfähig, es gibt aber noch nicht genug praktische Erfahrungen. Vor einer gesetzlichen Regelung müssten hier weitere Modellversuche unternommen werden.