Der Hauch des Kalten Krieges

Dieselgeneratoren, Dosenessen, Filter gegen Radioaktivität und Schleusen, um Menschenmassen aufzuhalten: Ein Besuch im Atombunker unter dem Hachmannplatz. 13 Jahre nach dem Ende des Kalten Krieges ist er nach wie vor in Betrieb

Wenn das Zählsystem meldet „Bunker voll“, werden die Türen geschlossen

von GERNOT KNÖDLER

Volker Plagemann weiß, was das Wort Bunker bedeutet. Denn wo der leitende Fachbeamte der Kulturbehörde jetzt steht, war er 1944 schon einmal: Als Kind ist er damals in den Tiefbunker unter dem Hachmannplatz geflüchtet. Zusammen mit seiner Mutter und seinem Brüderchen war der Fünfjährige in der S-Bahn von einem Bombenangriff überrascht worden. "Wir waren die einzigen drei hier drin", erinnert er sich.

Hinter ihm ist eine Durchreiche, darüber hat jemand "Essenausgabe" auf die Betonwand gepinselt. Plagemanns Blick erfasst eine Mischung aus Eisenbahnabteil und Wartesaal: quer laufende Reihen von Klappsesseln, Rücken an Rücken, mit u-förmigen Kopfstützen aus Schaumstoff und verzinkten Gepäckablagen. Wenn der Bunker bebt, soll sich keiner den Kopf aufschlagen.

Tiefbunker wie der unterm Hachmannplatz aus dem Zweiten Weltkrieg sind selten. Weil es zu teuer war, sie unter die Erde zu setzen, konzentrierten sich die Nazis auf den Bau von Hochbunkern, wie sie heute noch überall in Hamburg zu sehen sind: Bunkerhäuser, Rundtürme, Gefechts- und Beobachtungstürme, Röhrenbunker. Sie werden heute größtenteils zu anderen Zwecken genutzt – der Schutzraum unter dem Hachmannplatz hingegen ist nach wie vor in „Betrieb“.

An seinem Eingang sind bis vor ein paar Jahren noch Tausende U-Bahnfahrgäste täglich vorbeigekommen: Er liegt in dem Verbindungsgang zum Schauspielhaus, der heute verschlosssen ist, um den Drogenabhängigen die Aufenthaltsräume zu entziehen. Den Hinweis "Öffentlicher Schutzraum" über der grünen Lamellentür haben aber wohl die wenigsten der PassantInnen bemerkt. Dahinter verbirgt sich der Grusel des Kalten Krieges: Relikte aus der Zeit von Overkill und Friedensbewegung, "War games" im Gemeindezentrum oder "Nato-Alarm“-Übungen bei der Bundeswehr.

Als der Zweite Weltkrieg vorbei war und der Kalte Krieg begann, besann sich die Bundesregierung auf den zentral gelegenen Bunker und brachte ihn auf den Stand des atomaren Zeitalters. Ein kompliziertes Filtersystem soll Radioaktivität, Bakterien und chemische Kampfstoffe aus seinem Inneren fernhalten. Doch nicht nur gegen Kampfmittel ist der Bunker gerüstet – auch gegen Menschen: Ein System von Kammern am Eingang soll das unkontrollierte Einströmen von Schutzsuchenden verhindern.

Auf einen Vorraum folgt eine Schleusenkammer mit druckfesten und luftdichten Stahltüren zu beiden Seiten. In der Betonwand der Schleusenkammer gibt es noch heute eine Art winziger Schießscharte mit Panzerglas, dahinter ein Steuerpult mit Hebeln und Knöpfen. Der Posten dort soll die Tür schließen, sobald die automatische Zählanlage meldete: "Bunker voll!" Im Notfall widersteht kein Körper der hydraulischen Schließanlage. Der Bunker ist so ausgelegt, dass 1400 Menschen – soviele passen in den Saal des Schauspielhauses – 14 Tage lang ausharren können. Nach dieser Zeit wäre die radioaktive Strahlung eines Atombomben-Angriffs auf ein Maß zurückgegangen, das nicht sofort zum Tode geführt hätte.

Bei geschlossener Tür ist der Bunker autark: Im unteren Stockwerk brummen mit Diesel betriebene Stromaggregate, unter den Decken hängen grün gestrichene Wassertanks. Es gibt Essen aus Tüten und Dosen sowie Werkzeuge aller Art: Sägen, Beile, Lampen, schwarze Gummihandschuhe – alles dreißig Jahre alt – so wie die vergilbten Vordrucke „Suchmeldung“ und „Aufenthaltsermächtigung“. Die Generation, die den Bunker eingerichtet hat, wusste aus Erfahrung, worauf es ankommt. Gläserne Lampen sind mit Gummipuffern an die Wand geschraubt worden, Wasserleitungen durch bewegliche und dehnbare Gelenke miteinander verbunden, um ihr Reißen zu verhindern.

Der Bunker geht über zwei Stockwerke, seine Sohle liegt neun Meter unter der Erde. Um Platz zu sparen, müssen sich die Schutzsuchenden beim Schlafen abwechseln: ein Drittel darf sich hinlegen, zwei Drittel müssen sitzen. Ab und zu werden Leute für den Betrieb der großen schneckenförmigen Handlüfter abkommandiert: Gemessenen Tempos ist Kurbel zu drehen, um Luft von draußen anzusaugen, die auf ihrem Weg gekühlt und entfeuchtet wird. Verbindung mit der Außenwelt halten die Insassen per Funk.

87 Zivilschutzbunker gibt es in Hamburg. Die meisten seien zwischen Mitte der 60er und Mitte der 80er Jahre errichtet worden, erzählt Sokolowski, der letzte war der U-Bahnhof Steinfurter Allee in Mümmelmannsberg. Heute gibt es für 1,7 Millionen Hamburger gerade einmal 87.000 Schutzplätze, deren Qualität sich ständig verschlechtert. Statt der für den Unterhalt erforderlichen 900.000 Euro überweise der Bund gerade mal 600.000 klagt Sokolowski. Kein Wunder, dass die Ausstattung wirkt wie im Technik-Museum oder dem Brockhaus von 1965: dicke schwarze Telefonhörer, mannshohe grüne Schaltschränke mit großen bunten Lampen und Bakelit-Drehschaltern.

Die Hochbunker hat das Denkmalamt unlängst wissenschaftlich erfassen lassen, als Vorbereitung für die Unterschutzstellung einzelner Exemplare. Die „modernen“ Tiefbunker muss Jürgen Sokolowski fürs Erste weiterpflegen. Falls sie doch noch einmal gebraucht werden.