„Kein Anreiz zur Scheidung“

Vor 25 Jahren erhielt Deutschland ein neues Scheidungsrecht. Die feministische Rechtsprofessorin Marianne Breithaupt zur Frage, was hat es für Frauen gebracht?

taz: Seit 1. Juli 1977 gilt ein neues Scheidungsrecht. Hat es die Gesellschaft verändert?

Marianne Breithaupt: Es war eindeutig eine Liberalisierung. Indem der Scheidungsantrag nicht mehr vom Fehlverhalten eines Partners abhängig war, verloren die konservativen Ehevorstellungen stark an Bedeutung.

Hat die Reform eher den Männern oder den Frauen genützt?

Schwer zu sagen. Das Zerrüttungsprinzip nahm den „braven“ Frauen auch ein wichtiges Druckmittel aus der Hand, denn früher konnte eine Scheidung nicht gegen ihren Willen durchgesetzt werden. Wollte sich ein Mann aus der Ehe lösen, musste er schon die Schuld auf sich nehmen und der Frau ausreichend Unterhalt versprechen.

Aber das neue Recht verschaffte den Frauen auch die Freiheit, selbst zu gehen.

Sie setzen voraus, dass die Frauen heute gehen können, weil sie ausreichend Unterhalt bekommen.

Das sah das neue Recht doch vor: Wenn die Frau bedürftig ist und nicht arbeiten kann, zum Beispiel weil sie kleine Kinder erzieht, muss der verdienende Exmann Unterhalt zahlen.

Tatsächlich zahlt er diesen Unterhalt häufig nicht oder nicht in vollem Umfang, weil er zu wenig verdient und auf den von der Justiz großzügig bemessenen Selbstbehalt pocht. Meist reicht es nur zum Unterhalt für die Kinder, und auch der ist oft gering.

Ist das neue Scheidungsrecht also nicht schuld an den steigenden Scheidungszahlen?

Zumindest die Unterhaltsregelungen sind kein Anreiz für Frauen, sich scheiden zu lassen, auch wenn die Männer überzeugt sind, sie müssten zu viel Unterhalt zahlen.

Es gab ja Kampagnen gegen das so genannte „Scheidungs-Unrecht“. Warum ging es dabei?

Frauen wurde vorgeworfen, sie würden einerseits ihre Ehen zerstören, um sich andererseits doch weiter alimentieren zu lassen.

Hatten die Kampagnen Erfolg?

Ja, die Rechtsprechung hat sehr schnell begonnen, in Unterhaltsfragen doch wieder auf Schuldkriterien zurückzugreifen. Nach dem Wahlsieg von Helmut Kohl wurde dies 1986 auch im Gesetz festgeschrieben. Frauen müssen seitdem fürchten, Unterhaltsforderungen könnten wegen ihres Verhaltens vor oder nach der Scheidung als „grob unbillig“ abgelehnt werden.

Ist das Zerrüttungsprinzip heute allgemein akzeptiert?

Zumindest unter den beteiligten RichterInnen und RechtsanwältInnen ist heute unumstritten, dass eine Ehe praktisch nicht aufrechterhalten werden kann, wenn sich ein Partner lösen will. Für die verlassenen Ehegatten ist das aber immer noch sehr hart. Manche akzeptieren das auch heute nicht.

Warum?

Weil meist sehr viel in die Beziehung investiert wurde, insbesondere von den Frauen. Ich habe deren Tränen besser verstanden, nachdem ich als Konkursrichterin die Tränen der Männer nach dem Scheitern ihrer Firma gesehen habe.

Warum stellen dennoch überwiegend Frauen den Scheidungsantrag?

Es ist wohl so, dass Frauen gerne klare Verhältnisse haben.

Das Zerrüttungsprinzip wollte das „Waschen schmutziger Wäsche“ vor Gericht vermeiden. Verlagert sich das heute nicht in den Streit um die Kinder?

Das wird überschätzt. Nur in fünf Prozent der Scheidungen ist das Sorge- und Umgangsrecht dauerhaft umstritten.

Sind Kinder hier aber nicht ganz massiv von Scheidungsfolgen betroffen?

Kinder können mit dem Streit ihrer Eltern meist besser umgehen, als psychologische Beratungsstellen das glauben. Es schadet den so genannten „Scheidungskindern“ wohl eher, wenn sie stets als potenzielle Schulversager und Delinquenten behandelt werden.

Interview: CHRISTIAN RATH