Antifa-Ikone versus Egomanin

Marlene Dietrichs Enkel hat zugeschlagen: Mit Hilfe eines riesigen Archivs zeichnet J. David Riva ein positives Bild der Großmama. „Marlene Dietrich – Her Own Song“ zeigt die Diva als engagierte Kämpferin gegen Nazideutschland. Viel Neues ist dabei nicht zu erfahren – bis auf ein paar Anekdoten

Bei der Truppenbetreuung der G.I.s opferte sie sich regelrecht aufNicht interessiert, dass die Diva eine kaltherzige Mutter und Egomanin war

Sie wäre schon längst „totfotografiert“ worden, sagte Marlene Dietrich, kurz bevor sie als Einsiedlerin in ihrer Pariser Wohnung unsichtbar wurde. Inzwischen wurde sie auch schon längst „totbiografiert“: Alles scheint doppelt und dreifach über ihr Leben geschrieben und gezeigt worden zu sein.

Warum nun also noch ein Filmporträt von ihr? Weil sie anscheinend nie etwas weggeworfen hat. Es gibt einen riesigen Nachlass, den ihre Tochter Maria Riva verwaltet und mit dem sie etwa das Deutsche Filmmuseum in Berlin so reich ausstattete, dass man es auch gleich „Marlene-Museum“ hätte nennen können.

Marlene Dietrichs Enkel J. David Riva hatte also eine riesige Menge an Material zur Verfügung: Privatfilme, Briefe, Fotos, Notizen, Dokumente, Memos usw., anhand derer man zwar nicht unbedingt etwas Neues von Marlenes Leben erzählen konnte, dies dafür aber in reichhaltiger Bebilderung. Und weil die Mutter Maria Riva schon in ihren Erinnerungen alles andere als schmeichelhaft von der privaten Marlene erzählt hatte, bot es sich an, mit einem positiven Porträt gegenzusteuern.

Dies ist wohl der Grund, warum sich J. David Riva, der erst im Filmgeschäft arbeitete und sich 1997 als Produzent selbstständig machte, in seinem Regiedebüt auf den Widerstand von Marlene Dietrich gegen das Nazi-Regimekonzentriert. Hier handelte sie völlig tadellos, bei der Truppenbetreuung der G.I.s an der Front opferte sie sich regelrecht auf.

Da interessiert es nicht weiter, dass die Diva auch eine kaltherzige Mutter und Egomanin war. Marlenes Narzissmus vs. ihr Antifa-Engagement – zwischen diesen beiden Polen bewegt sich der ganze Film. Einerseits erzählt er überzeugend von der politischen Marlene Dietrich, andererseits hält er eine irritierende Distanz zu ihr. Wir sehen zwar viele Privataufnahmen von ihr, etwa wie sie mit ihrem Liebhaber Jean Gabin in Cowboykostümen durch eine Wüstenlandschaft in Kalifornien reitet. Wir hören sogar ihre aufgeregte Stimme auf einer Tonbandaufnahme ihres ersten Gesprächs nach Jahren mit ihrer Mutter im zerbombten Berlin – dennoch bleibt sie seltsam fern und blass.

Nur in wenigen Momenten scheint ihre Aura durch, etwa bei einem Interview des schwedischen Fernsehens aus dem Jahr 1971. Ansonsten ist „Her own Song“ filmisch bestenfalls Mittelmaß. Interessant immerhin die Details: Beate Klarsfeld berichtet zum Beispiel davon, wie die Dietrich ihr während des Klaus-Barbie-Prozesses telefonisch ihren Respekt aussprach. Oder Burt Bacharach, der lange als ihr „musical director“ arbeitete und berichtet, dass sie bei ihren Konzerten in Israel in den 60er-Jahren als erste ein Tabu brach und auf Deutsch sang. Oder Billy Wilder bei den Dreharbeiten von „A Foreign Affair“, wie er Marlene Dietrichs Schwierigkeiten mit ihrer Nazi-Rolle begegnete, indem er ihr eine Nachricht schrieb: „Es ist ja nur ein Film, R-e-l-a-x!“

Wegen solcher Fundstücke ist „Marlene Dietrich – Her own Song“ allemal sehenswert, trotzdem bleibt vieles ärgerlich. Ein absoluter Fehlgriff ist, Hanna Schygulla als „Marlenes Stimme“ aus ihren Briefen und Notizen vorlesen zu lassen. Die beiden mag das Lied „Lili Marleen“ verbinden, aber ganz bestimmt nicht Ausstrahlung, Stimmlage und Intonation: Schygullas Stimme schiebt sich zwischen Marlene und ihre Worte.

Auch der Kommentar ist manchmal peinlich daneben. So wird von ihren „tiefen, intellektuellen Beziehungen zu Emigranten wie Erich Maria Remarque und Fritz Lang“ geschwafelt. Der eine war zwei Jahre lang ihr Liebhaber, den anderen hat sie gehasst, wie wir spätestens seit Maximilian Schells Film „Marlene“ wissen. Die beiden Filme ergäben übrigens ein ideales Doppelprogramm, denn sie ergänzen sich ideal: Schell, der die Dietrich in den 80er-Jahren in ihrer Wohnung zwar interviewen, aber nicht zeigen durfte, ist mit minimalistischen Mitteln ein bewegendes Porträt von ihr gelungen. Bei J. David Riva übersieht man am besten das Wie und konzentriert sich ganz auf das Was.

Wilfried Hippen

„Marlene Dietrich - Her Own Song“ läuft täglich um 19 Uhr (Mittwoch: 18 Uhr) im Atlantis