Alle Fragen offen

Eine Woche nach dem Bundestagsbeschluss für ein Stadtschloss mit historischer Fassade trifft sich heute eine neue Kommission. Sie hat viel zu klären – von der Nutzung bis zur Finanzierung

von PHILIPP GESSLER

Die Schlossdebatte ist tot – es lebe die Schlossdebatte! So ließe sich eine Woche nach dem Beschluss des Bundestages für die Errichtung eines Gebäudes in der Größe und hauptsächlich mit der Fassade des alten barocken Stadtschlosses Unter den Linden das Motto beschreiben, unter dem nun die Kärrnerarbeit geleistet werden muss: Nach mehr als zehn Jahren öffentlicher Debatte um die Gestaltung des alten Zentrums der Stadt trifft sich heute erstmals die Anfang Mai zwischen Land und Bund vereinbarte Arbeitsgruppe zur Zukunft des Schlossplatzes.

Unter Leitung des Kulturstaatsministers Julian Nida-Rümelin und im Beisein von unter anderem Bausenator Peter Strieder (beide SPD) sollen nun die wirklich kniffligen Fragen für die Zukunft des Platzes wenn nicht gelöst, so doch wenigstens zur Lösungsreife geführt werden. „Wahrscheinlich ein Jahr lang eine nicht einfache Arbeit“, wie der Architekturhistoriker Bruno Flierl es zurückhaltend beurteilt.

Was auf die Bau- und Kulturexperten zukommt, ließ am Montag eine Tagung im Grunewald erahnen: „Schlossplatz – und alle Fragen offen?“, lautete der Titel der Diskussion illustrer Fachleute, die die „Europäische Akademie für städtische Umwelt Berlin“ geladen hatte. Und deutlich wurde dabei schnell: Das Fragezeichen im Titel war unnötig. Denn was ist wirklich klar am scheinbar klaren Votum des Bundestages?

Bleibt nach dem Parlamentsbeschluss das Gerippe des „Palastes der Republik“ erhalten – als Bestandteil des neuen Schlosses? Ist noch zu klären, verkündete Hannes Swoboda, der Vorsitzende der „Schlossplatz-Kommission“, die sich im April bei einer knappen Abstimmung für die barocke Schlossfassade ausgesprochen hatte. Wie soll die „Agora“, der Diskussions- und Versammlungsort inmitten des neuen Schlosses, gestaltet sein und was soll darin stattfinden? Noch zu bestimmen, so der österreichische Abgeordnete des EU-Parlaments.

Soll es eine Wohnbebauung im Umfeld des Schlosses geben wie früher einmal? Dafür sei zumindest er, sagte Swoboda. Wie viel wird die Bewirtschaftung des großen Baus mit ca. 80.000 Quadratmeter Fläche kosten? Dazu gebe es keine „konkrete Berechnung“. Stehen tatsächlich Unternehmen bereit, für das – laut Bundestagsbeschluss – durch „privat-öffentliche Partnerschaft“ zu finanzierende Gebäude zu zahlen? Auch dafür, räumte Swoboda ein, gebe es „keine konkrete Zusage“.

Und was wollen die Unternehmen für ihr Geld? Diese Frage trieb vor allem Flierl, Vater des Kultursenators, um: Wie werde „die Dominanz der öffentlichen Interessen gegenüber den privaten an diesem bedeutenden Ort in der Mitte der Bundeshauptstadt auch tatsächlich garantiert“? Wie könne verhindert werden, dass „letzten Endes nicht doch Kommerzialisierung und eitle Imagebildung zum Wohle privater Geldgeber dominieren“? Die Richtung sei klar: „Das große Kapital Deutschlands wünscht sich das Schloss: als barockes Ambiente zur historischen Vergewisserung seiner eigenen gesellschaftlichen Rollenspiele heute und morgen.“

Der Architektursoziologe Werner Sewing zeigt sich ähnlich skeptisch – nicht zuletzt angesichts der bisher nur erwogenen Nutzung des neuen Schlosses durch die Humboldt-Universität, das Dahlemer Museum für außereuropäische Kulturen und die Zentral- und Landesbibliothek: Durch solche Nutzungen werde das Schloss keineswegs zum stets propagierten „Herz“ der Stadt. Auch wenn durch diese Nutzer Leben in das Schloss käme, würde der Ort „nicht Stadt im eigentlichen Sinne: Wir besuchen diesen Ort.“ Insgesamt sei die Schlossdebatte für ihn in einem Bild zu beschreiben: Sie sei wie die Geschichte eines kranken Mannes, der nicht über seine Krankheit sprechen wolle – und stattdessen nur über seine goldene Uhr rede.