Innovation vonnöten

Nicht erst seit der PISA-Studie aktiv: Hamburgs Öffentliche Bücherhallen legen neue Programme zur Frühleseförderung auf – währenddessen droht die Belegschaft schleichend zu überaltern

von PETRA SCHELLEN

Die PISA-Studie schreckt sie gar nicht. Sie habe nichts versäumt, sagt Hella Schwemer-Martienßen, Leiterin der Hamburger Öffentlichen Bücherhallen (HÖB). Im Gegenteil: „Wir sind PISA voraus. Denn unser Schwerpunkt liegt schon lange auf der Leseförderung gerade für die Jüngsten. Es ist uns wichtig, dass sie die Kulturtechnik Lesen frühzeitig lernen.“

Vor allem die Stadtteilbüchereien werden sich weiterhin intensiv den Erstlesern widmen. Als Beweis führt die HÖB-Chefin den „Fliegenden Veranstaltungsdienst“ an, der im Herbst starten soll und Kindergarten- und Grundschulkindern gilt: 4000 Veranstaltungen jährlich sind geplant. Szenische Lesungen, erarbeitet mit Kindertheatermachern, sowie Präsentationsfortbildungen für die HÖB-Mitarbeiter soll das Projekt bieten, „denn wir wollen künftig noch professioneller Veranstaltungen auf Zielgruppen abstimmen“. Kostenpunkt: 50.000 Euro jährlich. Ein Geschenk der Kulturbehörde? „Nein, dies müssen wir intern erwirtschaften – auf die gleiche Weise wie in den vergangenen Jahren: Man muss immer wieder prüfen, wie man den Betrieb umbauen, wo etwa die Verwaltung weiter schrumpfen kann. Gerade in Krisenzeiten muss man Innovationen wagen, sonst bedeutet das absolute Stagnation.“

Doch trotz aller internen Bemühungen sind die HÖB bei einigen Projekten sehr wohl auf Unterstützung anderer Täger angewiesen: etwa beim Projekt zur Leseförderung der Grundschulkinder, das HÖB und Schulbehörde gemeinsam betreuen. „Das ist ein großes, seit 1995 laufendes Projekt, in dessen Rahmen wir 700 Lesekisten für erste und zweite Grundschulklassen erstellt haben. Vom kommenden Schuljahr an soll es auch Kisten für die dritten Klassen geben. Mittelfristiges Ziel ist es, die Kinder durch die gesamte Grundschulzeit hindurch zu begleiten“, sagt die HÖB-Chefin und ist froh, dass die Schulbehörde hierfür 150.00 Euro jährlich zuschießt. „Dieses Geld ist dringend notwendig, denn aus eigener Kraft könnten wir das Projekt nicht finanzieren.“

Soweit also eher positive Meldungen zur HÖB-Situation; auch die Tarifsteigerungen bis zu 2,5 Prozent werden, so betont Kulturbehördensprecher Andreas Ernst, trotz vager Formulierungen im offiziellen Papier in den Haushalt 2003 eingestellt. Doch die strukturellen Probleme der Bücherhallen reichen tiefer: „Die Altersteilzeit wird in den nächsten Jahren unser größtes Problem“, prognostiziert Schwemer-Martienßen. „Per Bundesgesetz ist festgeschrieben, dass bis zu fünf Prozent einer Belegschaft dies in Anspruch nehmen können. Diese Marge haben wir zwar noch nicht erreicht, aber wenn das eintritt, wird es große finanzielle Probleme geben. Wir haben errechnet, dass uns die Altersteilzeit in den kommenden zehn Jahren 1,5 Millionen Euro kosten wird – ein Betrag, den wir nicht erwirtschaften können.“

83 Prozent des Gehalts sowie Sozialversicherungsbeiträge bekommen bei öffentlichen Dienstleistungsunternehmen diejenigen, die mit 55 in Rente gehen. Im Gegenzug sollen jüngere Arbeitnehmer eingestellt werden – so das noch bis 2007 gültige Gesetz. „Die Crux ist nur, dass wir Stellen abbauen und die Neueinstellungs-Option daher gar nicht wahrnehmen können.“ Die Folge: eine schleichende Überalterung des Personals; der Altersdurchschnitt der HÖB-Angestellten liegt derzeit bei 52 Jahren. Der Frauenanteil unter den Angestellten beträgt 85 Prozent – in Schwemer-Martienßens Augen ein zusätzlicher Grund für das besonders starke Interesse an der Teilzeit-Regelung. „Ich vermute, dass das mit privaten Lebensentwürfen zusammenhängt.“

Doch welche Gründe auch immer für die aktuelle Entwicklung verantwortlich seien – die Hamburger Öffentlichen Bücherhallen werden das Modell irgendwann schlichtweg nicht mehr finanzieren können. „Und dann wird man das Problem gesamtstädtisch lösen müssen“, sagt Schwemer-Martienßen. „Anderswo gibt es zum Beispiel Städtefonds, die in solchen Fällen einspringen. Aber in Hamburg sind die öffentlichen Betriebe – neben den Bücherhallen sind ja auch die Museen inzwischen Stiftungen – so stark von der Stadt abgenabelt, dass der Senat offiziell nur begrenzt zuständig ist. Da wird man gemeinsam Lösungen erarbeiten müssen.“