Hauptstadt der Buchkrise

Im wachsenden Berliner Konkurrenzkampf geht nun selbst größeren Buchhändlern die Luft aus. Verkaufsfläche expandierte, obwohl das Interesse der Käufer nachließ

In den vergangenen 18 Monaten sind in Berlin 41 Buchhandlungen eingegangen, darunter so alteingesessene wie die Buchhandlung Ringelnatz in Kreuzberg oder die Kleist-Buchhandlung in Prenzlauer Berg. Marktkenner prognostizieren, dass weitere der wachsenden Konkurrenz nicht standhalten. Zwar ist der Buchhandel in allen Großstädten in der Krise, während auf dem Land – dank Harry Potter, Grass und Walser – teils gar Umsatzzuwächse verzeichnet werden. Doch in Berlin spitzt sich die Lage zu.

Nach vielen fetten Jahren kämpft der Buchhandel, der trotz relativ gleich bleibender Absätze enorm expandierte, plötzlich mit jener Krise, die der Einzelhandel schon seit Jahren kennt. In Berlin, wo seit Mitte der 90er-Jahre ein heftiger Verdrängungswettbewerb tobt, haben zwar die Betreiber von kleinen und mittleren Buchhandlungen mit der Krise leben gelernt. Nun aber scheinen die finanziellen und persönlichen Reserven bei vielen endgültig verbraucht. Großunternehmen wie die Thalia-Buchkette, die zur Douglas AG gehört, das Medienkaufhaus Dussmann oder das gewiefte Familienunternehmen Hugendubel, verfügen dagegen über relativ große Reserven, die es ihnen erlauben, die Konkurrenz auszuhungern. Doch selbst starken Unternehmen wie Hugendubel oder Kiepert scheint die Luft auszugehen. Hugendubel fährt seit einigen Wochen Kurzarbeit, Kiepert scheint demnächst zu verschwinden. Das Fachblatt Buchreport macht das „Zentrum der Buchhandelskrise“ in Berlin aus.

Diese Krise ist zum Teil hausgemacht: Der Buchhandel, durch die Preisbindung und vom traditionsreichen Börsenverband des deutschen Buchhandels über Jahre verwöhnt, konnte sich jahrelang auf Gelder der öffentlichen Hand, die über Universitäts- und Stadtbibliotheken in seine Taschen flossen, verlassen. Und der Börsenverband kümmerte sich raunend und mahnend darum, dass die buchhändlerischen Gepflogenheiten eingehalten wurden. Als jedoch mit den Großfilialisten eine nie gekannte Konkurrenz einkehrte und der ungezügelte Markt Einzug hielt, als die Verlage begannen, ihre Lagerbestände teils schon ein Jahr nach Publikation eines Titels wieder zu verramschen, und durch Sonderausgaben, Rabatte und Rückgabeklauseln die Buchpreisbindung unterliefen, schrumpften die Margen vor allem der kleineren Läden. Gleichzeitig verhielten sich die Großfilialisten wie andere Einzelhandelsketten auch – in der Hauptstadt und besonders in deren „wildem Osten“ sollte der Konkurrenzkampf entschieden werden. Daher veranderthalbfachte sich die Buchverkaufsfläche in Berlin in den letzten fünf Jahren, obschon die Bevölkerung, der Etat der Bibliotheken und die Zahl der Studierenden schrumpften. In einer solchen Situation, in der die Buchpreisbindung vor allem die Filialen der Großen vor gegenseitiger Konkurrenz schützt, bleiben die Kleinen auf der Strecke.

Doch der Buchhandel hat sich nicht nur selbst ruiniert. Denn trotz auffallend stabiler Preise bleibt ein großer Teil der Kundschaft aus. Der Buchreport spricht gar von einem „Käuferstreik“. Selbst linke Leser zeigen kaum noch Interesse an der Ware. Rainer Wendling, der den Kreuzberger Buchladen Schwarze Risse mitbetreibt und gerade als einer der wenigen kleineren Unternehmer wagte, in Prenzlauer Berg eine Filiale zu eröffnen, sagt: „Vor zehn Jahren waren die Auflagen für politische Bücher ungefähr doppelt so hoch wie heute. Heute werden viele Käufer von zum Teil sehr hohen Preisen abgeschreckt und glauben, ihre Informationen genauso gut im Internet finden zu können“. Vor allem aber zeichne sich ab, dass Theorie und theoretische Diskussionen für viele Linke nicht mehr so interessant seien. JÖRG SUNDERMEIER