Ein Frieden, der gefährlich ist

Im Kongo können sich Völkermörder noch immer frei bewegen. Daran wird sich auch durch den gestern vereinbarten Waffenstillstand nicht viel ändern

aus Goma DOMINIC JOHNSON

Laut donnern sie Richtung Grenze, grüne Lastwagen voller Soldaten in Kampfmontur, unterwegs aus Ruanda in die Demokratische Republik Kongo. Mit Flammenwerfern und Gewehren marschieren weitere Einheiten ins Grenzgebiet. Ruanda verstärkt seine bereits 20.000 Mann zählende Streitmacht im kongolesischen Rebellengebiet massiv und öffentlich.

Dabei hat Ruanda erst vor einer Woche mit der Regierung des Kongo ein Abkommen über den Abzug seiner Truppen aus dem kriegsgeschüttelten Land ausgehandelt. Gestern haben die beiden Präsidenten Joseph Kabila und Paul Kagame den Vertrag in Südafrika unterzeichnet, im Beisein von UN-Generalsekretär Kofi Annan und Südafrikas Präsident Thabo Mbeki.

Die Botschaft ist klar: Jetzt wird aufgeräumt mit Afrikas blutigstem Krieg. Aber in der Grenzstadt Goma, Sitz der von Ruanda unterstützten RCD-Rebellen im Kongo (Kongolesische Sammlung für Demokratie), überwiegt Pessimismus. Entweder bleibt dieser Vertrag Makulatur wie alle bisherigen Kongo-Friedensabkommen, so die allgemeine Meinung – oder er wird umgesetzt und bringt mehr Krieg. Denn Kern des Abkommens ist die Zerschlagung der ruandischen Hutu-Milizen, der so genannten Interahamwe.

Im Abkommen verpflichtet sich Kongos Regierung, diese Milizen nicht länger zu unterstützen, die einen großen Teil von Kongos Regierungstruppen ausmachen und auch im Rebellengebiet gegen Ruandas Armee kämpfen. Ruanda, das seine Militärpräsenz im Kongo immer mit der Notwendigkeit begründet hat, die Interahamwe von Ruanda fernzuhalten, erklärt sich im Gegenzug zum militärischen Rückzug bereit. Innerhalb von 90 Tagen sollen alle Hutu-Kämpfer von der im Kongo stationierten UN-Blauhelmmission Monuc demobilisiert und nach Ruanda repatriiert werden.

„Ich möchte zu gern sehen, wie die Monuc in den Wald geht und Interahamwe sucht“, mokiert sich ein kongolesischer Gesprächspartner in Goma über diesen Plan. Jeder hier weiß, wie unfähig die UNO ist. Ihre Beobachter sind immer als Letzte vor Ort, wenn es irgendwo Massaker gibt. Und diese Mission soll nun leisten, was die zehnmal größere und ungleich kriegserprobtere Eingreiftruppe aus Ruanda in vier Jahren nicht bewältigte: Die Hutu-Milizen ausschalten?

In Wirklichkeit wird also nicht die UNO, sondern Ruandas Armee das machen, was der Abkommenstext unverblümt „Jagd auf die Milizen und ihre Zerschlagung“ nennt. Ruandas Militärpräsenz wird durch das Abkommen nicht beendet, sondern legitimiert und gefestigt. Zum ersten Mal erkennt Kabila verbindlich an, dass seine Regierung die Interahamwe unterstützt – und zum ersten Mal wird verbindlich festgelegt, dass Ruandas Rückzug aus dem Kongo von der Vernichtung der Milizen abhängt.

Von der bisherigen These der Scharfmacher um Kabila, Ruandas Soldaten seien vor allem wegen Rohstoffen im Land, ist keine Rede mehr. Das ist für Ruandas Regierung ein diplomatischer Durchbruch, und die Ruander im Kongo brauchen sich nicht mehr zu verstecken. „Es gibt viel mehr ruandische Soldaten hier als früher“, erzählt ein ruandischstämmiger Kongolese in Goma. „Sie gehen in die Dörfer und halten Versammlungen ab, auf denen sie erklären, sie seien nur zum Schutz der Sicherheit ihres Landes da, nicht wegen territorialer Ansprüche an den Kongo. Dummerweise sagen sie das auf Ruandisch, und wir müssen dann übersetzen.“

Ruandas Militär operiert immer unabhängiger von den RCD-Rebellen, die die Region theoretisch regieren. Von Geldmangel und internem Zwist geschwächt, zeigen sich RCD-Kader im Gespräch auffällig ahnungslos über aktuelle Entwicklungen. Ruanda sucht Allianzen mit RCD-feindlichen Milizen, die beim Kampf gegen die Interahamwe helfen sollen, und bei etablierten kongolesischen Parteien.

Vielleicht kommt die Probe aufs Exempel gar nicht. Seit einiger Zeit behauptet die Regierung Kabila, sie habe mit der Demobilisierung von 3.000 Hutu-Kämpfern letztes Jahr ihren Part erfüllt. Unabhängige Experten gehen aber von bis zu 20.000 irregulären Milizionären aus. „Kinshasa versorgt sie aus der Luft mit Waffen und Munition“, weiß Valentin Mubake, Vertreter der größten kongolesischen Partei UDPS in Goma, und prophezeit: „Der Waffenstillstand wird eingehalten, aber der Krieg geht weiter. Der Kongo ist das einzige Land, in dem sich Völkermörder frei bewegen können.“