Regen-Retro, süß-sauer

Der zweite „Fabulous SixtiesSkaSoulSurf‘n‘Beat-Weekender“ in Zeiten der Klimakatastrophe: Mods waren in Leipzig zwar kaum zu sichten, doch dafür noch einmal die Sputniks, die einst klasse Surf-Instrumentals für die GenossInnen dengelten

von JENNI ZYLKA

Wie Secondhand-Sachen stinken können bei Regen! Als ob sich die Feuchtigkeit mit dem Muff aus tausend Jahren verbindet, und was vorher hot und fab und dedicates-follower-of-fashionlike war, wird plötzlich ein olles, gebrauchtes Polyesterding, das man aus Angst vorm Einlaufen lieber nicht gewaschen hatte, nachdem man es für wenig Penunzen aus dem Secondhand-Shop errettete. Nun stinkt es vor sich hin, mit den regenfeuchten, müffelnden, todschicken Secondhand-Mänteln um einen herum um die Wette.

Natürlich weiß man das als Secondhand-Fan. Aber mit der verdammten Klimakatastrophe kann beim zweiten „fabulous SixtiesSkaSoulSurf’n’Beat-Weekender“ in Leipzig ja keiner rechnen. Außerdem perlt der Regen auf Glatzen und Fred-Perry-Hemden bekanntlich ab wie Kritik: Entweder es gibt kaum noch Mods in Deutschland, oder es ist ihnen egal, ihre Roller in Gegenden ohne echte Küste und Rocker zum Verprügeln, dafür aber mit drohendem Schlamm zu steuern. Den Rude Boys und Girls, den Skinheads und Soul-Fans jedenfalls ist das wurscht mit der Küste, der Schlammgefahr und den fehlenden Rockern. Die Off-Beat-Gruppe stellt darum den größten Teil des Publikums, das ab Freitagnachmittag in den Innenhöfen der gemütlichen, alten Baumwollspinnerei herumlümmelt. Da ist das Wetter noch schön, die Würstchen vom local meat dealer sind hervorragend, an den Plattenständen gibt’s all die duften Ska- und Soulsampler, die eigentlich ohnehin in jede ordentliche Bude gehören, und auf der großen Bühne mitten zwischen den verlassenen und damit, wie alle Pleite-Fabriken, rührenden Gebäuden spielen nach Yardshaker aus Dänemark The Satelliters Power-Sixties-Beatpunk aus Deutschland. Kann man nichts gegen sagen, außer dass es retro ist, ein Wort wie eine chinesische Fischsauce: gleichzeitig süß und sauer.

Später am Abend hoppeln die Soul-Fans, die Hosenträgerjungs und Feathercutmädchen auf den verschiedenen, nur für dieses Wochenende aus dem Boden gestampften „Nightlife“-Tanzböden in den ehemaligen Fabrikhallen herum, zum grandiosen DJ Andi Schulz, zum Moskito-Ska-Soundsystem, und spätestens jetzt müsste jedem klar sein, dass auf „Germany’s biggest 60s-Weekender“ die wenigsten in den geliebten 60s geboren wurden, vorher sogar noch weniger. Nein, diese Szene ist jung, beziehungsweise nachgewachsen, die einen wachsen rein und die anderen wachsen raus. Wie alle Szenen mit Dresscode hat sie sich seit ihrer Entstehung in den 60ern ständig runderneuert wie ein Phoenix mit Flattop, der comicartigen Stilvariante des Rockabilly-Bürzels. Und: Diese Szene ist noch immer zwiegespalten. Man kann hoffen, dass die Skinheads auf dem Festival Red Skins sind, linke Skins, die ihre Tradition in der englischen Arbeiterbewegung der 60er sehen, aber wissen kann man es tatsächlich nicht. Und es ist wie immer sinnlos, Diskussionen über ihre Mode anzurühren, die für jeden, der sich nicht mit den genauen Feinheiten auskennt, wie simpel-martialische Fascho-Mode aussieht, brutal und bekloppt. Red Skins scheinen gegen solche Diskussionen immun, scheinen ihre von den rechten Skins „vereinnahmten“ Symbole und Erkennungszeichen wie Glatze und Hosenträger und Docs für ihre Identität unbedingt zu brauchen.

Psychobillys und Rockabillys, auch so eine manchmal urig anzuschauende Erscheinung, die sich seit den 60ern immer wieder am Slapbass entlanghangelt, sind ebenfalls massig vertreten unter den paar hundert gut gelaunten BesucherInnen. Nur eben leider kaum Mods. Kaum unvorteilhafte, zu kurze Ponys (dafür ab und an der Skingirl-Putz, diese Mischung aus hinten kurz und ums Gesicht herum lang), kaum echte Gecken mit viel zu schnieken Anzügen, kaum Kajal-Augen unter Poppers-Einfluss. Ein paar Modähnliche schleichen vereinzelt herum und zeigen ihre nachwachsenden Haaransätze, doch im Großen und Ganzen sieht man vor allem ganz kurze Haare, Glatzen, Hütchen, Koteletten, sanft toupierte Beehives und eine Menge Menschen, denen dieses ganze Geschublade ganz egal ist und die einfach gerne zu altmodischer Musik tanzen, weil sie oft mehr Heart und Soul und Beat und Sex hat als neue.

Am Samstagnachmittag, nachdem die Frisuren auf dem Zeltplatz durch die Nacht gerettet wurden, spielt die US-amerikanische Rockabilly-Band „Rockin’ Lloyd Trip & The Zipguns“, Rockin’ Lloyd sieht aus wie Edward G. Robinsons Kopf auf John Goodmans Körper: ein Mann wie ein Kontrabass, darum wirkt das Instrument in seinen Händen auch wie ein Violinchen. Als die Psychobilly-Szene ihren letzten zweiten (oder dritten oder vierten) Frühling in Deutschland hatte, in den späten 80ern, spielte Rockin’ Loyd bei den Vibes. Jetzt sagt er „Ladies, once you go fat you’ll never go back“, und slappt den Kontrabass, als ob er sauer auf ihn wäre. Und endlich, endlich kommen am frühen Abend echte 60s-Veteranen auf die Bühne: die Sputniks, die damals so eine Art ostdeutscher Ventures waren und klasse Surf-Instrumentals für die GenossInnen dengelten. Sie tragen weiße Anzüge, und an der Gitarre steht Claus Seibold vom ZDF, oder jemand, der ihm ähnlich sieht. Leider waren sie auch früher nicht unbedingt sexy, jetzt sind sie nur noch rührend charmant.

Irgendwann tut sich dann der Himmel auf, und den Kurzfilm „American Mod“, und wenig später den eigentlichen Top-Act des Festivals, die jamaikanische Ska-Legende Dennis Alcapone zusammen mit den authentischen Soul-Ska-Helden von Intensified, kann man zusammengepfercht, aber swingend und wippend in einer der überdachten Lounges erleben. Was ein großes Vergnügen ist, vor allem wegen Alcapone, dieser räudigen Ska-Mafia-Mischung. Danach muss man aber wirklich irgendwohin, wo die Secondhand-Sachen trocknen können.