Lehrling soll gehen

Präzedenzprozess um die Weiterbeschäftigung einer Auszubildenden – Siemens will nicht so richtig

BERLIN taz ■ Der in Verkleinerung begriffene Siemens-Konzern versucht, einen von ihm ausgebildeten Lehrling nicht im selben Werk anzustellen – arbeitsrechtlich ein Pokerstück, das von heftigen Emotionen begleitet ist.

Vor dem Berliner Arbeitsgericht geht es um die nunmehr fertig ausgebildete Industrie-Elektronikerin Anne Trendelenburg. Die 19-Jährige, die in der überaus renommierten Lehrwerkstatt von Siemens im Norden Berlins ihren Beruf erlernte und sich zugleich als Jugendvertreterin und auch gewerkschaftlich engagierte, beharrt auf der Erfüllung ihres Vertrags vom Mai 1999. Darin wird auf das Betriebsverfassungsgesetz verwiesen, und dessen Paragraf 72a wiederum garantiert Trendelenburg nach erfolgreicher Beendigung ihrer Lehre die Übernahme für mindestens ein Jahr. Zudem besagt eine Siemens-Regelung, dass Lehrlinge, welche in der Jugendvertretung tätig waren, auf jeden Fall zu übernehmen seien.

Doch sowohl das Siemens-Unternehmen als auch sein Partner Bosch, in dessen Auftrag Trendelenburg als Lehrling angenommen wurde, wollen von einer Vollbeschäftigung der jungen Arbeitnehmerin nichts mehr wissen.

Man leide an Personalüberhang, baue ohnehin Arbeitsplätze ab und habe für die Berlinerin in ihrer Geburtsstadt schlichtweg keine Arbeit, so die verlautbarten Gründe. Weil diese womöglich nicht ausreichen, bestehendes Vertragsrecht zu brechen, reichte zunächst die Rechtsschutzabteilung des DGB für Trendelenburg eine Klage ein, um deren Anspruch auf Arbeit geltend zu machen – aber die Konzerne klagten zurück.

Und nicht nur gegen Trendelenburg wendet sich ihr Antrag, sondern auch gegen den Betriebsrat von Siemens sowie gegen die Siemens-Jugendvertretung. Denn: Nicht nur Trendelenburg wäre von möglicher Arbeitslosigkeit betroffen, lässt das Gericht ihre Nichtbeschäftigung den ehemaligen Lehrherren durchgehen. Hunderte von Azubis könnte man aussortieren.

Nur um eine simple, aber alles entscheidende Feststellung geht es jetzt dem Verband der Metall- und Elektroindustrie in Berlin und Brandenburg, welcher Siemens und Bosch anwaltlich vertritt: Er will feststellen lassen, dass kein Arbeitsverhältnis zwischen Trendelenburg und den beiden Firmen bestehe.

Weil es hier um Grundsätze geht und die IG Metall eine Präzedenz wittert, bei der es um die Zukunft vieler Jugendlicher bundesweit geht, findet Trendelenburg reichlich Zuspruch und Unterstützung: Im Internet brechen sich Wut und Ängste von Mitfühlenden Bahn. Manche Zuschauer reisten extra aus Halle an. Die Richterin zeigte Geduld. Ein Unterhändler des Münchner Siemens-Managements reagierte indes wie vorausgesehen: „Unternehmen sind dazu da, Gewinne zu machen, ohne Rücksicht auf die Menschen“, befand er schlicht. GISELA SONNENBURG