pop komm raus …
: Die Popkomm als Buch: Das Jahrbuch Popkultur

The Sound of Musicbiz

Zur Popkomm verwandeln sich die Messehallen in Köln in einen gigantischen Chatroom: Das Palaver beim Bier, der Lärm, der vor den Ständen der Plattenfirmen unentwegt anschwillt, und die Panelgespräche auf der Konferenz verdichten sich dann zu einer diffusen Kakophonie, zum Sound of Musicbizness. Dass das große Meet ’n’ Greet der Branche nun in den hellen Westflügel des Messegeländes, in immerhin vom Tageslicht berührte Räume am Rheinufer gezogen ist, hat an der lauten Klangkulisse wenig geändert. Und auch nicht an dem eher flüchtigen Charakter des Smalltalks, der bei der Popkomm meist geführt wird: Echte Entscheidungen werden schließlich woanders gefällt.

Die aktuellen Gesprächsthemen der Branche in Buchform zu packen ist Anspruch des Jahrbuchs „Popkultur 2002 / 2003“, das der Publizist und Kulturberater Jürgen Stark zusammen mit Dieter Gorny herausbringt und das wie immer pünktlich im Vorfeld des Businesstreffs erscheint. Und wie beim Real-Life-Vorbild vermischen sich auch in der gedruckten Ausgabe die Themen, Redner und ihre Sprechweisen zu einem vielstimmigen Potpourri, fließen Musik und Geschäft, das Offiziöse und das Nebensächliche hier unterschiedslos zusammen. So stehen in der aktuellen Ausgabe kühle Business-Bilanzen von BMG-Boss Thomas M. Stein eher beziehunglos neben einem persönlichen Nachruf auf den früheren Kraftwerk-, Krautrock- und New-Wave-Produzenten Conny Plank, dazu langatmige Lamentos über die Krise der Musikindustrie (schuld sind natürlich immer die anderen) neben Aufsätzen im Fanzine-Stil, ein lesenswertes Interview mit Charlotte Roche („Ich bin ein Credibilitäts-Werkzeug“) neben erschütternden Einblicken in die Plattensammlung von Günter Wallraff.

Ob dieser Kessel Buntes tatsächlich „eine kulturelle Institution“ ist, „die unseren Expertenalltag literarisch ergänzt“, wie WEA-Chef Gerd Gebhardt im Vorwort lobhudelt, fällt allerdings zu glauben schwer. Dafür wimmelt es doch zu sehr von Stilblüten und Plattitüden. Selbst dem Herausgeber rutschen stapelweise Sätze von der Hand wie: „Texte schwimmen gegen den Strom“ oder „Vier Millionen Dauerarbeitslose stellen das Prinzip Hoffnung ins Abseits“. Dahin, wo schon das Sprachgefühl steht und Aua schreit.

Aber auch sonst gießt sich ein ungebremster Stream of Consciousness über die Seiten, dem die ordnende Hand eines Redakteurs oder Lektors sicher gut getan hätte, und es dominiert die ungefilterte Betroffenenperspektive. Das hat seine unterhaltsamen Momente: Etwa wenn ein absurdes Roundtablegespräch über Klaus Kinski ins komplett Gagahafte kippt, als Ben Becker damit prahlt, wie er im Hotelzimmer mit seinem Fernseher gefickt habe, und das übers Telefon dem Moderator der laufenden Sendung mitgeteilt habe. Oder wenn der Musikjournalist Ralf Kühling seine Kollegen als „Alkoholiker, Kokser, die Menschen mit der höchsten Scheidungsrate in Berufsgruppen“ beschimpft und dabei gleich noch ein paar persönliche Rechnungen begleicht.

Ärgerlich wird die Sache, wenn sich das unreflektierte Gequatsche auf gesellschaftlich komplexem Terrain bewegt: So rollt Herausgeber Jürgen Stark in seinen Betrachtungen zum 11. September ein Bedrohungsszenario auf, in dem sich der harmlose Wunsch von Muslimen nach Frauenbadetagen in deutschen Schwimmbädern und das Terrorregime der Taliban zum Gesamtbild eines „expansionsgierigen Islamismus“ fügt, der nur eines im Sinn hat: Sie wollen uns unsere Popkultur wegnehmen.

So geht es einem nach Lektüre des viel zu dicken Jahrbuchs wie nach einem langen, anstrengenden Popkomm-Tag: Man ist müde, beduselt, und der Kopf dröhnt vom vielen Blabla.

DANIEL BAX

Dieter Gorny, Jürgen Stark (Hrsg.): „Popkultur 2002/2003“. Rororo, 26 Euro