Rette wer kann (das Kino)

Wieder zu sehen: „Die Verachtung“ von Jean-Luc Godard: Doppelbödig, so schön und sonnendurchflutet wie kein anderer seiner Filme

Jean-Luc Godards Kino besteht zu einem großen Teil aus verfilmter Filmkritik, und dafür hat er wohl kein prägnanteres Bild gefunden als die Anfangssequenz von „Le Mépris“ („Die Verachtung“). In einer einzigen langen Einstellung (die natürlich eine Verbeugung vor Orson Welles ist) sehen wir eine Kamerafahrt (wie in Welles „Touch of Evil“). Allerdings sehen wir bei Godard tatsächlich die Fahrt und nicht ihr Ergebnis, denn unsere Kamera schaut auf eine Kamera, die gerade den langsamen Gang einer jungen Frau aufnimmt.

So doppelbödig ist jede Einstellung in diesem Film, der an der Oberfläche Godards „einziges Zugeständnis an das Mainstream-Filmemachen“ (so Armond White) zu sein scheint. Die Filmproduzenten Carlo Ponti und Joseph E. Levine gaben ihm 1963 den Auftrag, Alberto Moravias Erzählung „il dispezzo“ als Cinemascope-Produktion mit den Stars Brigitte Bardot und Michelle Piccoli zu verfilmen. Zum Cinemascope-Format gibt Fritz Lang im Film (und natürlich in Cinemascope) gleich die vernichtende Kritik mit, es sei „am besten für Eisenbahnzüge und Schlangen geeignet.“ Und mit den Einstellungen von Brigitte Bardot waren die Produzenten schließlich so unzufrieden, dass sie Godard zwangen, noch zwei Nacktszenen mit ihr nachzudrehen, in denen man ihren Hintern zu sehen bekommt. Godard selber lässt den Superstar jener Zeit lieber Obszönitäten in die Kamera sagen oder Szenen aus seiner Ehe nachspielen.

Auf einer Ebene erzählt der Film von der Verachtung, die sich in Camille (Bardot) entwickelt, als sie erlebt, wie ihr Ehemann Paul (Piccoli), ein Drehbuchautor, sich von einem amerikanischen Filmproduzenten (Jack Palance) kaufen lässt, und wie er zulässt, dass dieser sich ihr aufdrängt. Godard ist aber die zweite Ebene viel wichtiger, in der es um das Filmprojekt geht: Homers Odyssee. Der Regisseur Fritz Lang spielt sich selbst als den Filmkünstler, der sich gegen die Banalisierung des klassischen Epos wehrt, und Godard zeichnet von ihm vielleicht das einzige ungebrochen respektvolle und liebevolle Porträt seines ganzen Filmwerkes (er selber spielt Langs Regieassistenten).

Der Produzent (Jack Palance) wird dagegen als bissige Karikatur von Godards eigenem Produzenten gezeigt. Dabei ist Godard oft ganz untypisch direkt und komisch, etwa wenn Palance in Diskussionen plötzlich seine angelesenen Weisheiten aus einem winzigen Notizbuch vorträgt. Godard hat also alles, was ihn beim Machen dieses Films beschäftigte, von seinen eigenen Beziehungsproblemen bis zum Ärger mit den Geldgebern, in den Film gepackt. Und so ist „Le Mepris“ vielleicht der radikalste Film im Film.

Das Wunderbare daran ist aber, wie leicht und unangestrengt sich all das zusammenfügt. So schön, so einfach, poetisch, traurig und sonnendurchflutet sieht kein anderer von Godards Filmen aus. Wirklich genießen kann man ihn deshalb nur im Kino und so ist diese Wiederaufführung (zum ersten Mal in der Originalfassung mit Untertiteln) sehr zu begrüßen.

Wilfried Hippen

„Die Verachtung“ läuft täglich im Atlantis