Es muss nicht immer Mali sein

Das Ruhrgebiet im Kopf: Qualmende Schlote, wenig Grün und ein stinkender Fluss namens Rhein. Ein Klischee, dass so schon lange nicht mehr stimmt. Entspanntes Freizeitgefühl und Radvergnügen stellt sich auch vor geschönten Industriekulissen ein

von VOLKER ENGELS

Duisburg Zentrum, am Innenhafen: Wo früher brackiges Wasser und rostige Kräne in trauter Gemeinsamkeit vor sich hin gammelten, können wir heute Kinder beobachten, die begeistert in die kühlen Fluten springen. Unsere Fahrräder lehnen an einer Hinweistafel, auf der das neue Konzept für das Hafengebiet erläutert wird. Jachthafen, Kunst- und Flaniermeile vor der Kulisse der alten Speicherhäuser sollen die Innenstadt touristisch wieder attraktiver machen. Auch wenn im Hintergrund der Lärm der Stadtautobahn rauscht, entsteht schnell ein wonniges Gefühl: Es ist Urlaub, und den kann man auch mitten im Ruhrgebiet verbringen. Es muss nicht immer Mali sein.

Entlang des Wasser radeln wir zum Schiffsanlegeplatz Schwanentor. Die alte Hebebrücke ist noch in Betrieb. Ihr zu Füßen läuft dreimal täglich die weiße Flotte zu Rundfahrten durch Europas größten Binnenhafen aus, der rund 50 Millionen Tonnen Fracht im Jahr umsetzt. Ein zweistündiger Ausflug auf dem Wasser soll reichen, wir haben heute noch viel vor. Wir schippern vorbei an Frachtschiffen und Lagerhallen, in denen kräftig gehämmert, geschweißt und verladen wird, und erreichen nach wenigen Minuten die Lebensader der Stadt. Den Rhein. Immer wieder wird die eindrucksvolle Industriekulisse entlang des verkehrsreichsten europäischen Flusses von Rheinauen unterbrochen. Sonnenhungrige liegen unter bunten Schirmen oder bedienen sich aus Kühltaschen. Wahrscheinlich mit Schnitzel und Kartoffelsalat. Die Reste fliegen in Richtung Wasser, wo sie Möwen als willkommenes Mahl dienen.

Unser Kapitän schwelgt in Superlativen: „Rechts sehen sie Deutschlands größten Schrotthafen, links davon …“ Einen „Sohn“ der Stadt würdigt der sprachgewandte Schiffsführer mit einem gewissen Stolz in der Stimme: „Links vorne“, deutet er ans Ufer, „hat Schimanski alias Götz George auch schon gedreht.“

Zurück am Anleger, setzen wir uns gemächlich per Drahtesel in Richtung Meiderich in Bewegung. Der Stadtteil, in dem die industrielle Revolution ihre stählernen Monumente hinterlassen hat, bietet heute eine faszinierende Touristenattraktion: Den Landschaftspark Nord. Mit einem Park im klassischen Sinne hat das ehemalige Hüttenwerk, in dem 82 Jahre lang Stahl und Eisen hergestellt wurde, nur wenig zu tun. Ein gigantischer Hochofen aus Stahl dominiert das Gelände.

Eintritt wird im Landschaftspark nicht verlangt, dafür brauchen Besucher eine gute Kondition: Die Wege über das Gelände sind lang, der Aufstieg auf die oberste Plattform des Hochofens 5, unserem ersten Ziel, ist anstrengend. Pausen legen wir an den Hinweistafeln ein, die immer wieder Interessantes zur Werksgeschichte und zur Stahlproduktion vermelden: Im Hüttenwerk brannten die Hochöfen mehr als 80 Jahre lang rund um die Uhr. 57 Millionen Tonnen haben die Hüttenarbeiter dem Erz in dieser Zeit abgerungen. Und das teilweise unter Bedingungen, die uns noch heute den Schweiß auf die Stirn treiben: Als Schutz vor dem glühenden Eisen trugen die Arbeiter in den zwanziger Jahren Holzschuhe und Filzhüte.

Auf dem Weg zum Ausgang glauben wir, einer Sinnestäuschung aufzusitzen: Mit Seilen und Helmen ausgerüstet, klettern Bergsteiger an den Wänden des ehemaligen Erzbunkers. Die verblüffte Nachfrage bringt Licht ins Dunkel: Die Duisburger Sektion des deutschen Alpenvereins hat auf dem Gelände einen Klettergarten eingerichtet. Unterschiedliche Schwierigkeitsgrade können so bereits in den Niederungen des Ruhrgebietes geübt werden. Auch Liebhaber maritimer Regionen können sich im Revierpark glänzend auf den Urlaub vorbereiten: Ein alter Gasometer dient Tauchern als Übungsplatz.

Im Duisburger Stadtteil Rheinhausen, der wohl vor allem durch die Stahlarbeiterstreiks der 80er-Jahre bekannt geworden ist, gibt es Orte, an denen angestrengte Urlauber entspannen können. Einer dieser Orte ist der Ortsteil Friemersheim. Kaum haben wir den Rhein überquert und wenig später das Werksgelände von Thyssen passiert, erreichen wir das historische „Lehrerhaus“. Kaum zu glauben, dass hier, zwischen alten Bäumen und nur wenige Meter vom Rhein entfernt, einst das Herz der westdeutschen Stahlproduktion schlug. Das romantische Ambiente des Hauses, ganz in der Nähe des Rheins, können auch Hochzeitswillige für sich nutzen: Freitags werden in historischer Umgebung Trauungen durchgeführt. Heiraten steht für uns gerade nicht auf der Tagesordnung, so dass wir es vorziehen, die Räder ein paar Meter entlang einer Streuobstwiese über den Deich zu schieben, um in der malerischen Gaststätte „Dorfschänke“ Bier zu trinken. Bis vor kurzem war in der Kneipe noch Deutschland kleinstes Kino untergebracht. Heute lockt vor allem der Biergarten, dessen alte Kastanienbäume Schatten und Kühle spenden. Nach dem dritten Glas braut sich Erkenntnis zusammen: Wahrlich, es muss nicht immer Mali sein.

Landschaftspark Duisburg Nord, Emscherstr. 71, Duisburg, Tel: (02 03) 4 29 19 42 www.duisburg.de