Eine besonders exklusive Welt

aus Johannesburg BERNHARD PÖTTER

Eigentlich sollte Jan Pronk wissen, wovon er redet. Der Mann war Umweltminister der Niederlande, führte die Verhandlungen beim gescheiterten Klimagipfel in Den Haag und ist nun Sondergesandter der UNO für den Weltgipfel in Johannesburg. „Wir haben die Wahl“, sagt Pronk in dem überfüllten Zelt der Naturschutzorganisation IUCN vor Journalisten, „die Wahl zwischen einer exklusiven Welt, in der sich die Minderheit der reichen Länder gegen die Armen abschottet, und einem inklusiven System, das allen die faire Chance auf eine Arbeit, ein Dach über dem Kopf, genug Essen und sauberes Trinkwasser garantiert.“

Aber Jan Pronk irrt sich. Denn diese Wahl ist zumindest um ihn herum längst getroffen worden. Johannesburg, die Bergbaumetropole Südafrikas und eine der größten und dynamischsten Städte Afrikas, hat sich entschieden: für die Abschottung der Reichen im nördlichen Stadtteil Sandton, für hohe Mauern, scharfe Hunde und bewaffnete Wächter. Und genau hier, in dieser Luxusenklave der Ersten Welt mitten in der Armut, hält die UNO ihren Weltgipfel ab über die Bekämpfung der Armut und des Hungers, über ein radikales Umsteuern im Wohlstandsmodell des Nordens.

In den klimatisierten Kongressräumen und Hotels entscheiden die Delegierten über das Schicksal der Menschen, die vor den Stacheldrahtzäunen warten. „Sandton ist aus einem Prozess entstanden, der den Prinzipien der Nachhaltigkeit frech ins Gesicht lacht“, schreibt die Gipfelzeitung Global Fire, mit der sich die Gruppen zu Wort melden, die nicht am Gipfelbusiness teilnehmen. „Sandton repräsentiert die Flucht des Kapitals aus der Innenstadt und ist ein Hindernis für eine demokratische Entwicklung.“

Seit Freitag ist Sandton UN-Gelände. Doch die Vereinten Nationen zeigen sich hier nicht als schwache Organisation, sondern als Hardliner. Das gesamte Kongressgebiet ist abgeriegelt, Hundestaffeln, berittene Polizei, Schlagbäume, Zäune und Stacheldraht sollen die über hundert Regierungschefs absichern. Einlass nur für Delegierte oder Journalisten. Die Straßenhändler, die hier sonst ihre Waren anbieten, haben Aufenthaltsverbot. Die lokalen Zeitungen berichten von Frauen aus dem angrenzenden Slum Alexandra, die nicht wissen, wie sie ihre Kinder durchbringen sollen. Der Bananenverkauf auf Sandtons Straßen ist ihnen bis zum Ende des Gipfels verboten.

Die Polizei langt zu. Sie verhaftet über hundert Landlose, die gegen den Gipfel protestieren, und feuert Blendgranaten in eine Demonstration vor der Universität. „Ist es das, was wir vom Gipfel zu erwarten haben?“, fragte eine Journalistin bei der ersten offiziellen Pressekonferenz. „Gewalt gegen friedliche Demonstranten?“ Die ungerührte Antwort der südafrikanischen Außenministerin Nkosazana Dlamini-Zuma: „Die Demonstration war nicht erlaubt. Wir werden es nicht tolerieren, wenn sich Leute nicht an unsere Gesetze halten.“

Die Angst der Regierung ist groß, dass der Gipfel Bilder von Straßenschlachten produziert wie das G-8-Treffen in Genua vor einem Jahr und so Südafrikas Image einer aufstrebenden Nation schadet. Und auch gegen einen möglichen Terroranschlag sollen Sicherheitsschleusen, Stacheldraht und etwa zehntausend zusätzliche Polizisten und Soldaten schützen.

„Armut ist der Nährboden der Gewalt.“ Das sagt die UN, das sagen die Delegationen, das sagen die NGOs. Gemeint ist es als Beschwörung der USA, vom Kurs der Militarisierung nach dem 11. September abzugehen und das so eingesparte Geld stattdessen dem Kampf gegen die Armut zu widmen. Immerhin wurde der Johannesburger UN-Gipfel bereits eine Woche vorverlegt, damit sein Ende nicht mit dem ersten Jahrestag der Terroranschläge in New York und Washington zusammenfällt. Doch mit dem Satz erflehen die Delegierten auch so etwas wie den Geist von Rio. Damals, auf dem Entwicklungsgifel in Brasilien vor zehn Jahren, waren sich alle einig, dass etwas gegen Not und Umweltzerstörung getan werden müsse. Nur hat kaum einer etwas getan.

Nach zehn Minuten in einem nagelneuen, silbergrauen Doppeldeckerbus erreichen die Teilnehmer von Sandton „Ubuntu-Village“: eine Zeltstadt voll von Bühnen, Pavillons und Imbissständen. Eine kleine Expo haben die Staaten und internationale Firmen hier hingestellt. Der Eintritt ist frei, und so bestaunen viele Besucher das Auto der Zukunft (von Opel, am deutschen Stand) oder aber die Tierwelt in den südafrikanischen Zoos. Über dem Geschehen hängt ein Hauch von Tourismusbörse.

Vor dem Tor stecken die Busse für die Gipfelbesucher im dichten Verkehrsgewühl fest. Normalerweise benutzt in Johannesburg kaum jemand einen öffentlichen Bus. Normalerweise wird auch nur fünf Prozent des Abfalls wieder verwertet. Jetzt stehen überall blitzsaubere neue Recyclingcontainer.

Müde klettert Ephraim Sipho in den Bus. Der 20-jährige Student hat einen harten Tag hinter sich. Etwa 100 Dollar hat er für die „Climate Legacy“ gesammelt. Mit einer solchen Spende sollen die Teilnehmer des Gipfels ihre „ökologischen Schulden“ begleichen. Das Geld soll in Umweltprojekte bei Johannesburg investiert werden. Tausende von Freiwilligen sind in bunten Uniformen unterwegs, um die Gäste zu begrüßen und ihnen zu helfen, sich im Gewühl zurechtzufinden.

Fragt man bei ihnen oder den Polizisten nach dem Weg, bekommt man immer eine freundliche Antwort. Auch wenn sie manchmal nicht sehr hilfreich ist. Ein Kollege landet auf der Suche nach dem Pressezentrum in Sandton nach drei Anläufen endlich bei einem Uniformierten, der ihn entschlossen am Arm packt. Sein Ziel ist freilich ein Schuhputzsessel, wo er dem Journalisten die Halbschuhe auf Hochglanz bringen möchte. „Das Pressezentrum? Keine Ahnung.“

Der Bus mit Ephraim Sipho fährt nach Nasrec, dem Ausstellungsgelände vor der Stadt, wohin es die NGOs verschlagen hat. Vorher jedoch macht er einen Abstecher durch Newtown. Dieser Stadtteil im Herzen Johannesburgs ist wegen seiner extrem hohen Verbrechensrate No-go-Area für Weiße, Touristen und Delegierte.

Die Kulisse erinnert an apokalyptische Filme. Seit vor einigen Jahren die großen Banken und Konzerne die Innenstadt Richtung Sandton verlassen haben, verkommt der Distrikt. Die Büros in den Wolkenkratzern stehen leer, ältere Gebäude sind teilweise eingefallen, Fenster zerbrochen. Die Läden sind nach Einbruch der Dunkelheit verrammelt, auf den Straßen versammeln sich die Menschen vor den Kneipen und Straßenständen. Ein Finanzservice bietet Kredite für 21,5 Prozent Zinsen an. Die größten Geschäfte verkaufen Grabsteine. Wer hier mit dem Auto fährt, braucht, wenn er sich bedroht fühlt, an einer roten Ampel nicht zu halten, schreibt der Reiseführer. Kamerateams mieten sich bewaffnete Bodyguards, wenn sie auf den Straßen arbeiten müssen.

Der Bus mit den Delegierten windet sich durch diese Straßen. An Bord herrscht eine entspannte Atmosphäre, etwa so wie auf einem Kirchentag. Delegierte, Freiwillige, Journalisten aus der ganzen Welt reden munter durcheinander, während vor den Fenstern die Armut vorbeizieht. „Wir Südafrikaner müssen alles tun, um diesen Gipfel erfolgreich zu machen“, sagt Sipho. „Wir müssen den Leuten helfen, sich zurechtzufinden, und ihnen das Gefühl geben, willkommen zu sein.“

Südafrika als Modell für den Wechsel, als Beweis dafür, dass es möglich ist, die Welt zu verändern – das ist eine der offiziellen Begründungen für die Wahl von Johannesburg als Ort der UN-Konferenz. „Wir haben unsere Apartheid von Schwarz und Weiß überwunden, jetzt muss die Welt die Apartheid zwischen Arm und Reich beseitigen“, sagte Staatspräsident Thabo Mbeki bei der offiziellen Eröffnung des Gipfels am Sonntagabend.

Überwindung der Apartheid? „Die Politiker und Delegierten kommen nach Sandton, nach Johannesburg und damit in die modernste Stadt des Landes“, sagt Ehpraim Sipho. „Aber in der Provinz Limpopo, aus der ich komme, haben viele Menschen keine Häuser, keine Toiletten. Wir sollten ihnen das auch zeigen.“ Der Bus hält. Sipho steigt aus. Auf dem Dach eines Hauses mit zerfressener Fassade hat der Weltgipfel eines seiner riesigen Plakate zum Urwaldschutz aufgestellt. „It’s a jungle out there.“