„Die Smiths sind lebendiger denn je“

Mit 50 Morrissey-Lookalikes im Bus: Der Fotograf Kevin Cummins über seinen neuen Fotoband, der den Smiths gewidmet ist, über den Wandel der Rockfotografie in den letzten Jahren und die bis heute fortwirkende Faszination der Band auf ihre Fans

Interview VOLKMAR MÜHLEIS

taz: Herr Cummins, was bitte ist heute noch interessant an einer Gruppe, die sich 1987 aufgelöst hat und deren ehemaliger Sänger seit fünf Jahren kein Album mehr gemacht hat?

Kevin Cummins: Wenn man sich im Internet umschaut, sind die Smiths lebendiger denn je. Man stößt dort schnell auf abertausende von Morrissey- und Smiths-Fans, die offensichtlich nichts anderes tun, als sich Tag und Nacht über die Texte von Morrissey zu unterhalten.

Woher, glauben Sie, rührt das?

Die Smiths gaben als Band stets ein sehr homogenes Bild ab. Es waren nicht zwei Frontleute und hundert Meter dahinter Bassist und Schlagzeuger. Sie präsentierten sich vielmehr als Persönlichkeiten. Und Morrissey war ein Perfektionist – nicht nur, was die Selbstdarstellung in Text und Musik, sondern auch die in Bildern betraf. In meinem Buch ist zum Beispiel ein Foto von ihm, wie er auf dem Boden liegt und puzzlet: ein Puzzle, das sein eigenes Bild zeigt. Und seine Fans waren unglaublich empfänglich für jede Bewegung, die er auf der Bühne machte.

In Ihren Bildern haben Sie auch oft die Fans eingefangen – am Bühnenrand, in der Stadt, allein, in der Gruppe. Warum?

Mich hat immer das Verhältnis zwischen den Stars und ihren Anhängern fasziniert. Ein Foto von mir, das in diesem Band leider nicht enthalten ist – Morrissey hat es selbst in seinem Buch „Peepholism“ veröffentlicht – zeigt vier Jungs, alle mit demselben „Queen is dead“-T-Shirt, und alle ähnlich gestylt. Sie sind vielleicht 14 Jahre alt und auf dem Weg zu Morrisseys erstem Solo-Auftritt nach dem Ende der Smiths 1987. Ich fand es damals erstaunlich, dass die Smiths diese Jungen erreichen konnten, die eindeutig zu jung waren, um die Band selbst erlebt zu haben. Später saß ich einmal unterwegs zu einer Smiths-Party mit 50 Morrisseys im Bus: Ein tolles Bild!

Viele Ihrer Bilder sind bei Konzerten entstanden. Wie wichtig ist die Live-Atmosphäre für ein gutes Rock-Foto?

Livefotografie wird stark unterschätzt – besonders von den Agenturen der Musiker, die alles unter Kontrolle haben wollen und einen mittlerweile nur für die ersten drei Stücke des Konzerts noch an die Bühne heranlassen. Es ist aber kaum möglich, spannungsgeladene Livemomente einer Band einzufangen, wenn man nach sechs Minuten wieder herausgeworfen wird.

Wie hat sich die Arbeit für Fotografen wie Sie verändert?

Promotion-Agenturen werden heute immer wichtiger. Sie wollen selbst die Rechte an den Fotos besitzen, die Existenzgrundlage eines jeden unabhängigen Fotografen. Ich bin deshalb mit einigen Kollegen beim New Musical Express ausgestiegen – allein, um weiterhin die Rechte an meinen Bildern zu behalten.

Früher verbrachte ich drei, vier Tage mit den Musikern und begann irgendwann, eher beiläufig, Fotos zu machen. Die Stars waren auf diese Art sehr viel entspannter. Man hat aber inzwischen kaum noch Zeit mit den Bands.

Gibt es da Unterschiede zwischen der Rockfotografie in England und der in den USA?

Was uns von den amerikanischen Kollegen auch heute noch unterscheidet, ist die eher journalistische Herangehensweise. Wenn Annie Leibowitz für den Rolling Stone Aufnahmen macht, erscheint sie mit zehn Assistenten, einem Stromgenerator und vierzehn Scheinwerfern. Jane Brown, eine Kollegin von mir in London, kommt dagegen mit ihrer Kamera und einer Einkaufstasche.

Mit einem englischen Fotografen ist es leichter, unbefangen zu sein, weil wir gern auch Zeit mit den Leuten verbringen ohne auf die Uhr zu schauen – solange, bis der Betreffende vergessen hat, dass er längst schon fotografiert wird! Bei einer Annie Leibowitz vergisst du nie, dass du fotografiert wirst. Man schauspielert dann in der Regel.