Kunst als süße Kuvertüre

Bayern ist ein Hightech-Land – unterfüttert mit dem veredelnden Schmelz der Kultur. Wenn Stoiber Kanzler wird, sollen die bayerischen Rezepte aber keineswegs auf den Bund übertragen werden

Der Kulturminister versteht sich als Friedensstifter und feudaler Spender

von IRA MAZZONI

Nur noch elf Tage. Dann wird die Republik die grandiosen Segnungen bayerischer Kulturpolitik bestaunen können. Die Eröffnung der Pinakothek der Moderne, des größten Museumsneubaus Deutschlands, wird zur pompösen Wahlkampfplattform. Dann wird sich die bayerische Regierungsriege, Ministerpräsident Stoiber, Innenminister Beckstein und Kulturminister Zehetmair, im lichtdurchfluteten Kuppelsaal strahlend vor die Kameras des Bayerischen Fernsehens stellen und das Hohelied auf den Kulturstaat Bayern anstimmen.

Zwar ist das Schild am Bauzaun, das von der „Offensiven Zukunft Bayerns“ kündet, längst verblasst. Es stammt aus dem Jahr der fröhlichen Grundsteinlegung 1996, als die Ministertrias übermütig wie Kinder beim Sandburgenbauen ihren Spaten in das präparierte Sandbett stieß und in die Luft schleuderte. Solch jugendlicher Optimismus macht sich gut auf Pressefotos, taugt er doch als Allegorie: Bayerische Kulturpolitik ist Baupolitik und macht Spaß. Wie zu König Ludwig des Ersten Zeiten, dessen Stadtplanung und Kunstpolitik bis heute Maßstab und Modell geblieben ist.

Inzwischen hat sogar der bayerische Finanzminister – gleichzeitig Herr über Bayerns Schlösser, Seen und Besitzungen – erkannt, dass man sich mit kulturellen Neuplanungen wunderbare Denkmale setzen kann. Die Nachbarschaft der drei Pinakotheken soll veredelt werden, nachdem die naturwissenschaftlichen und technischen Universitätsinstitute auf Felder in der Münchner Peripherie ausgelagert wurden. Dabei sind sich Kultur- und Finanzminister einig in ihrer ästhetischen Beurteilung der Nachkriegsmoderne: einfach hässlich. Da steht also manches zur Disposition, um für die Filmhochschule und die Ägyptische Staatsammlung neue, repräsentative Räume zu schaffen und das bestehende „Kunstareal“ zu arrondieren.

Meilen und mehr! Vielleicht gibt es ja irgendwann eine Hans-Zehetmair-Passage durch den Kulturdistrikt, der seine Entwicklung vor allem der Zähigkeit des seit 16 Jahren amtierenden Kultusministers verdankt, so wie es eine Ludwigstraße und eine Maximilianstraße gibt, mit denen sich die Wittelsbacher städtebaulich verewigt haben. Bayerns Herrscher hatten schon eh und je den Bauwurm.

„Offensive Zukunft Bayern“ – das war einmal Anno 1994. Damals hat Edmund Stoiber bundesweit gepunktet, als er einen wesentlichen Teil der Erlöse aus der Privatiserung staatlicher Unternehmensbeteiligungen für die Kultur avisierte. Die Kultur? Vor allem für museale Kultur. Während 3,5 Milliarden Mark in die Förderung von Wissenschaft, Technologien und neue Märkte reinvestiert wurden und nach dem Verkauf von Viag-Aktien 2,65 Milliarden für Biowissenschaften, Informations- und Kommunikationstechnologien ausgegeben werden konnten, waren in der zweiten Tranche 2,6 Milliarden aus dem Verkauf der Bayerischen Versicherungskammer für die Kunst vorgesehen.

„Bayern ist ein Kulturstaat“, steht in der Verfassung des Freistaats. Dieser Satz gehört zum Rosenkranz politischer Gebete. Wann immer er fällt, sind vor allem Tradition, Erbe und selbstverständlich auch Folklore angesprochen. Insofern musste die Hightech-Offensive Edmund Stoibers mit Kultur unterfüttert werden, um die neophobe Landesseele zu beruhigen. Zehetmair: „Unsere Kultur ist gleichermaßen der veredelnde Schmelz über dem Hightech-Land.“ Kultur als süße Kuvertüre?

Na ja – aus den Milliarden wurde dann nichts. Auch Bayern bekam die Rezession zu spüren und die Privatiserungserlöse der zweiten Tranche mussten helfen, ganz profane Haushaltslöcher zu stopfen: Straßenausbau und Kliniksanierungen. Für die Kunst blieb 1996 die Hälfte der versprochenen Summe: 675 Millionen Mark. Das Prestigeprojekt, die Pinakothek der Moderne, wäre beinahe in den Planschränken der Baubehörde verschwunden, wenn nicht die Bürger mit einer 20-Millionen-Mark-Stiftung den Staat herausgefordert hätten. Inzwischen hat die Stiftung Pinakothek der Moderne zehn Prozent der Bausumme aufgebracht. So dass der Kulturminister diese spezielle Public-Privat-Partnership als famoses Modell lobt. Denn ohne sie wäre seine Kulturpolitik wohl gescheitert. Jetzt kann er triumphieren. Kulturpolitik bleibt Baupolitik.

„Kultur kommt ohne Politik aus, aber Politik nicht ohne Kultur“, hat Zehetmair einmal gesagt. „Ich will nicht, dass man die Kultur in den Dienst der Politik stellt.“ Aber genau dies passiert am 16. September wieder. Schon die Millenniumsfeier hat der Ministerpräsident auf der Baustelle der Pinakothek der Moderne inszeniert: So stellt man Zukunftsorientierung dar! Eigentlich hätte der Bau bis zu diesem Datum längst fertig sein sollen, aber die Kostendeckelung – nach dem Motto: Wir wollen zwar das größte Museum Deutschlands, aber das zum Preis eines kleinen – und der daraus resultierende Pfusch nebst Nachträgen hatten den Eröffnungstermin verschoben und die Kosten nach oben getrieben. Der Architekt bekam den Ärger der Mächtigen übel zu spüren, wurde er doch für das Ungemach zur Verantwortung gezogen.

Aber das neue Millennium musste trotzdem statt in der Residenz auf den frisch gegossenen Betonstufen des neuen Museums gefeiert werden. Der bayerische Rechnungshof hat diese feudale Attitüde jüngst gerügt und als teuren bauzeitverlängernden Störfaktor benannt.

Immerhin, jetzt hat man die Eröffnung des Verbundmuseums mit allem Nachdruck betrieben, so dass Stoiber rechtzeitig vor den Bundestagswahlen eine imperiale Kulturbühne erhält. Eine Bühne, die das moderne Bayern repräsentiert, seine Weltoffenheit und seinen Kunstsinn. Kunst sorgt eben für die schönsten Bilder. Das hat man bei vielen Bürgermeister- und Landtagswahlen erfolgreich geprobt. Und vielleicht winkt die neue Chillida-Skulptur vor dem Eingang des neuen Museums bereits in Richtung Kanzleramt.

Die bayerische Kulturpolitik steht am 22. September nicht zur Wahl. Gleichwohl wird man von einem Bundeskanzler bayerische Provenienz durchaus Weichenstellungen in Sachen Kulturpolitik erwarten, auch wenn in seinem Kompetenzteam ein entsprechender Fachmann oder eine Fachfrau fehlt. Auch dies ein Hinweis darauf, dass aus bayerischer Sicht ein „Beauftragter der Bundesregierung für Angelegenheiten der Kultur und der Medien“ die schönste Nebensache der Politik ist. An eine Abschaffung des Postens ist zwar nicht gedacht, aber wer die entschiedene Opposition des bayerischen Kulturministers etwa gegen eine Bundeskulturstiftung kennt – oder gar die Fusion von Bundeskulturstiftung und der Kulturstiftung der Länder, wer die Drohungen mit Verfassungsklagen noch im Ohr hat, der wird von den traditonsgemäß entschiedenen Föderalisten keine Fortsetzung der Projekte erwarten.

Kultur ist Länderhoheit – auch wenn dieser Satz – anders als behauptet – nirgends in der bundesdeutschen Verfassung steht. Entschieden wehren sich die bayerischen Patrioten in Sachen Kultur gegen deutsche „Gleichschaltungsstellen“. Nationalkultur gibt es nicht, noch weniger eine europäische Kultur. Kultur existiert nach bayerischer Auffassung nur auf regionaler Ebene. Was sich auch darin ausdrückt, dass zur bayerischen Kulturpolitik viel Brauchtumspflege zählt – eben die berüchtigten Lederhosen zum Laptop.

Aus der kleinräumigen Wahrnehmung kultureller Identitäten resultiert auch, dass die bayerischen „Provinzen“ reihum und gelegentlich gezielt politisch mit Mitteln aus dem ebenfalls aus der „Offensiven Zukunft“ finanzierten Kulturfonds bedacht werden. Die großzügige Vergabe der Projektmittel – die meisten fließen in denkmalpflegerische Erhaltungsmaßnahmen von Klöstern, Kirchen und Schlössern – wird jeweils mit Fanfaren bekannt gegeben. Der Kulturminister als feudaler Spender! Und ein Friedensstifter im selbstbewusst aufmüpfigen Franken, das er mit dem neuen Museum in Nürnberg, dem Dokumentationszentrum auf dem Reichparteitagsgelände, dem Museum für die Sammlung Georg Schäfer in Schweinfurt und dem Kulturspeicher in Würzburg sowie der jetzigen Landesausstellung in Bamberg in letzter Zeit mächtig gehätschelt hat.

Bayerische Kulturpolitik ist museal. Im Vordergrund stehen die Aufgaben: erhalten, bewahren und pflegen. Von zeitgenössischer Kunst, wie sie im Vordergrund der Bundeskulturstiftung steht, findet sich in den Verlautbarungen des bayerischen Kulturministers relativ wenig, auch wenn er sich wünscht, dass es in seinen Opernhäusern und Theatern wenigsten einmal im Jahr richtig kracht! Wobei er für den Krach wie im Falle Wagner gelegentlich selber sorgt und dabei verliert; mit der von ihm betriebenen Ablösung des Festivalpatriarchen Wolfgang Wagner ist er halt nicht durchgekommen.

Bayern setzt in Sachen Kultur auf den Wettbewerb der Regionen und Länder, insbesondere aber auf die Konkurrenz der „Kulturmetropolen“ München und Berlin. Mit einem Bayern in Berlin ist sicher nicht mehr „Blattgold für die Pickelhaube“ zu erwarten – auch wenn sich der bayerische Kulturminister inzwischen für einen Verbleib in der Stiftung Preußischer Kulturbesitz ausspricht, nicht ohne die Hauptzuständigkeit des Stadtstaats Berlin anzumahnen. Schließlich habe Bayern ja auch die Verantwortung für das Wittelsbacher-Erbe übernommen.

Und wie geht es mit der Bundeskulturstiftung weiter? Nach Aussagen des Altbayern Zehetmair soll sie die kulturellen Abteilungen der Ministerien administrativ zusammenführen, sich um das Auswärtige kümmern und dafür sorgen, dass die Goethe-Institute und Auslandsschulen wieder vermehrt deutschen Sprachunterricht anbieten – als Friedens- und Demokratiebotschaft und als indirekte Wirtschaftshilfe.

Die Schaffung eines Bundeskulturministeriums, wie von Antje Vollmer vorgeschlagen, ganz und gar ausgeschlossen. Reichspropaganda. Bayern lässt sich wie zu Märchenkönigszeiten in seine Kulturpolitik nicht reinreden, und das bayerische Zentralabitur wird umgekehrt auch nicht als gesamtdeutsche Pisa-Pille verschrieben. Man müsste ja sonst eventuell die Siegerprämie teilen.