Der lange Arm der Ausländerbehörde

Innenausschuss will, dass traumatisierte Kriegsflüchtlinge in Berlin endlich ein Aufenthaltsrecht erhalten. Doch die Weigerung der Ausländerbehörde, in 578 Fällen entsprechende Gutachten anzuerkennen, wird nicht mehr überprüft

Die Rechtslage ist eindeutig. Seit einem Beschluss der Innenministerkonferenz im November 2000 sollen traumatisierte Kriegsflüchtlinge aus dem ehemaligen Jugoslawien einen festen Aufenthalt in Deutschland erhalten. Ebenso unzweifelhaft hat die Berliner Ausländerbehörde bislang alles darangesetzt, diesen Beschluss zu unterlaufen. Trotzdem entschied der Innenausschuss des Abgeordnetenhauses gestern mehrheitlich, dass die Ablehnung entsprechender Aufenthaltsanträge keine Konsequenzen für die Ausländerbehörde, sehr wohl aber für die Betroffenen haben soll.

578 traumatisierte bosnische Männer und Frauen wurden in den vergangenen Monaten Opfer von selbstherrlichen Sachbearbeitern, die Gutachten über posttraumatische Belastungsstörungen als „Schutzbehauptungen“ deklarierten und den Betroffenen eine Aufenthaltsbefugnis verweigerten. Die Lage der Bosnier ist verzweifelt. Zum Trauma der Vergewaltigung und Misshandlung kommt nun die Angst vor der Abschiebung. Die Alternative: Abtauchen in die Illegalität oder Flucht ins Kirchenasyl.

Der Berliner Flüchtlingsrat und Beratungsstellen hatten bis gestern gehofft, die Regierungsparteien würden sich gegen die Ausländerbehörde durchsetzen. Denn Mitte August unterschrieb Innensenator Ehrhart Körting (SPD) nach monatelangem Tauziehen eine neue Weisung. Danach soll die Behörde nun auf die so genannte Schlüssigkeitsüberprüfung der Krankengeschichte und der Gutachten über die Traumatisierung verzichten, wenn eine so genannte gutachterliche Stellungnahme vorgelegt wird. Diese muss von Fachleuten abgegeben werden, die sich auf einer eigens erstellten Liste der Ärzte- oder Psychotherapeutenkammern befinden.

Zwar beschloss der Innenausschuss gestern, dass die rund 2.200 Fälle von traumatisierten Kriegsflüchtlingen aus Bosnien und dem Kosovo, die derzeit bei der Ausländerbehörde noch anhängig sind, nach den Kriterien der Weisung entschieden werden sollen. Angemahnt wird auch eine zügigere Bearbeitung. Einen Antrag der Grünen, auch die schon abgelehnten 578 Fälle erneut zu überprüfen, wiesen die Regierungsparteien jedoch zurück. „Die Ausländerbehörde kann offensichtlich so viel Druck auf den Innensenator ausüben“, kritisierte Volker Ratzmann (Grüne), „dass die ursprüngliche Intention seiner Weisung gekippt werden konnte.“ Denn es sei kein Problem, „rechtskräftige Entscheidungen, die offensichtlich auf einer falschen Grundlage getroffen wurden, erneut zu überprüfen.“

Die migrationspolitische Sprecherin der PDS, Karin Hopfmann, bezeichnete den Beschluss trotzdem als Erfolg. Kompetenzen der Ausländerbehörde seien nun eingeschränkt.

Berlins Ausländerbeauftragte Barbara John sucht derweil nach weiteren Lösungen für rund 4.100 bosnische Kriegsflüchtlinge in Berlin, deren Leben mit dem Aufenthaltstatus „Duldung“ immer prekärer wird. Sie fordert eine Regelung, die andere Bundesländern längst erfolgreich praktizieren: dass Flüchtlinge durch einen Arbeitsplatz ihren Aufenthalt dauerhaft sichern können. „Die Betroffenen würden die Möglichkeit erhalten, ein halbes Jahr nach einer Arbeitsstelle zu suchen. Darüber könnten sie ihr Aufenthaltsrecht erwerben,“ sagte John gestern zur taz. HEIKE KLEFFNER