„Die Vernunftehe klappt“


Ich glaube nicht, dass der Bundeskanzler antiamerikanische Politik macht

Interview PHILIPP GESSLER
und ROLF LAUTENSCHLÄGER

taz: Herr Blumenthal, wollen wir zuerst über Politik, das Museum oder die Familie reden?

W. Michael Blumenthal: Fragen Sie. Es gibt bei mir keine Tabus.

Sie haben zweimal geheiratet, zweimal Nichtjüdinnen, Protestantinnen. Obwohl Sie ein jüdisches Museum leiten, scheint Religion keine entscheidende Rolle in Ihrem Leben zu spielen.

Dass ich zwei nichtjüdische Mädchen geheiratet habe, ist Zufall. Ich habe mindestens zwei jüdischen Mädchen einen Heiratsantrag gemacht, bin aber zweimal abgeblitzt.

So ein Pech.

Ich bin nicht auf Jüdinnen spezialisiert – nur auf schöne und interessante Frauen.

Sind Sie überhaupt religiös?

Absolut nicht. Ich bin überhaupt nicht religiös. Ich gehe nur zu Beerdigungen und Bar-Mizwas in die Synagoge. Trotzdem bin ich stolz und mir bewusst, Jude zu sein. Aber das ist etwas Kulturelles und Ethnisches. Ich kenne meine Ursprünge.

Sie haben einen 16-jährigen Sohn. Kann er etwas mit Ihren Ursprüngen und Ihrer Arbeit anfangen?

Er findet es interessant. Er kann in der Schule davon erzählen, dass sein Großvater im Ersten Weltkrieg das Eiserne Kreuz erhalten hat. Er hat mein Buch gelesen, war mehrere Male hier. Er weiß mehr als der amerikanische Durchschnittsjunge von 16 Jahren.

Ist ihm Religion wichtig? Versteht er sich als Jude?

Wenn man ihn fragen würde, was er ist, würde er sich am Kopf kratzen. Er findet meine Aufgabe interessant und wichtig – er will viel über die Nazis wissen. Und kann das alles nicht verstehen. Für manche Fragen von ihm gibt es gar keine richtige Antwort. Ich habe auch keine Antwort darauf.

Zur Gala-Eröffnung des Museums, schrieb eine Zeitung, kam die ganze „Berliner Republik“. Hat diese sich seitdem noch mal blicken lassen?

Na, immerhin sind seither 750.000 Besucher gekommen.

Wir fragten nach dem Establishment.

Doch. Die haben sich hin und wieder sehen lassen. Die Politik, die Wirtschaft und die Intellektuellen unterstützen uns in jeder Beziehung. Die Gesellschaft der Förderer lebt. Das Interesse und Verständnis für die symbolische, museale und pädagogische Wichtigkeit des Hauses ist ungebrochen.

Klaus Siebenhaar, der für das Fundraising zuständig ist, beklagt jedoch die mangelnde private Unterstützung. Ein Defizit?

Was heißt Defizit? Das ist ein Defizit zu dem, was wir wollen. Das haben wir immer. Das ist wie bei Oliver Twist: „He wants more.“

Warum engagiert sich die Wirtschaft so wenig?

Sie tut es teils, teils. Es ist richtig, dass sie sich nicht so engagiert, wie man es in Amerika tut. Aber das liegt daran, dass Deutsche nicht daran gewöhnt sind. Viele Deutsche sind der Meinung – egal, ob es um 50 Euro geht oder um 50.000 Euro: „Warum? Ich zahle doch so viele Steuern. Das macht doch der Staat.“ Das ist ja eure Methode, dass der Vater Staat das macht.

Wie lockt man denn die Privaten mehr hinter dem Ofen hervor?

Indem man sich den Mund fusselig redet. Manchmal klappt’s, manchmal nicht. Es ist eine langsame, mühselige Arbeit. Die Gesellschaft der Förderer hat ein paar hundert Mitglieder. Ich habe mal gesagt, wir müssten tausend haben. Na ja, das habe ich eingesehen: So schnell geht das hier nicht. Andere Länder, andere Sitten.

Am Museumskonzept wurde von Beginn an bemängelt, es sei zu didaktisch, zu pädagogisch. Das ist es nach einem Jahr immer noch.

Das ist meine Schuld. Ich habe eines Tages diktatorisch befohlen: „Am 9. September 2001 machen wir auf!“ Viele haben gesagt: „Du verstehst nichts von Museen. Das dauert Jahre.“ Das wollte ich aber nicht. Natürlich gab es dann Sachen, die falsch waren, wenn auch nicht faktisch falsch. Da uns schon im Voraus oft vorgeworfen wurde, wir hätten nicht genug Exponate, haben wir bei der Eröffnung zu viele ausgestellt. Außerdem war es schwierig, den Bau wegen seiner Zickzack-Form einzurichten. Wir haben das vergangene Jahr damit verbracht, die Ausstellung zu lichten. Wir haben von 3.900 Exponaten 700 entfernt – keiner vermisst sie.

Trotzdem hat sich die Ausstellung noch immer nicht von der Architektur emanzipiert.

Sie haben absolut Recht. Wir hatten über 300.000 Besucher, solange das Gebäude leer war. Da machte der Bau einen ganz anderen Eindruck, da war er stärker eine Skulptur. In dem Moment, in dem wir den Bau füllten, ist es etwas anderes daraus geworden. Das war unsere Herausforderung. Das konnte nicht perfekt gemacht werden. Das ist unmöglich.

Der Reiz der Libeskind-Architektur geht verloren.

Der Eindruck der Architektur wird beeinträchtigt. Der Museumsfachmann, der zuerst hier war und sich den leeren Bau anschaute, sagte zunächst: „Daraus kannst du kein Museum machen. Weil es unmöglich ist.“ Ich sagte: „Ich habe mich aber jetzt – vielleicht war es dumm – engagiert, den Deutschen damit zu helfen. Ich geb dir ’nen Whiskey aus, leg dich schlafen und sehe es dir morgen noch mal an. Wenn du immer noch sagst, es geht nicht, dann müssen wir statt deiner jemand anderen suchen.“ Am nächsten Tag saßen wir beim Essen und ich fragte ihn, was er heute davon hält. Er hat mich traurig angesehen und gesagt: „Na ja, das ist fast unmöglich.“ „Fast unmöglich“, sagte ich, „dann lass uns anfangen zu arbeiten!“ Ausstellung und Gebäude, das ist eine Vernunftehe. Aber die Vernunftehe klappt. Es werden aus ihr auch ein paar Kinder erwachsen.

Ist das Jüdische Museum in seiner architektonischen Form nicht schon zum eigentlichen Holocaust-Mahnmal avanciert?

Es ist eine Art von Mahnmal. Zugleich wollten wir aber betonen, dass der Holocaust nicht das A und das O der deutsch-jüdischen Geschichte ist. Ich freue mich, dass in diesem Museum an meine Eltern und Großeltern erinnert wird. Nur ein kleiner Teil meiner Familie ist umgekommen. Glücklicherweise sind meine Eltern entkommen.

(mit nervigem Ton öffnet sich minutenlang automatisch ein Oberlichtfenster)

Ah, Daniel Libeskind.

Das ist wegen Ihrer Zigarre.

Das ist meine Schuld, natürlich. Wie immer.

Vor genau einem Jahr waren Sie auch in Berlin. Wie haben Sie den 11. September erlebt?

An dem Tag saß ich in diesem Zimmer auf diesem Stuhl. Ich sah am Fernseher, was die ganze Welt gesehen hat.

War Ihnen klar, dass die Eröffnung verschoben werden musste?

Der Fachmann sagte: „Daraus kannst du kein Museum machen. Unmöglich!“

Nicht sofort, erst einige Stunden danach haben wir entschieden, zwei Tage später zu eröffnen.

Der 11. September, hieß es oft, hat die Welt verändert. Ihr Leben auch?

Natürlich. Heute ist klar – auch für mich –, dass keiner von uns, egal wo er sich befindet, ob in den USA, hier in Deutschland oder wo auch immer, sicher ist. Die Menschen in den USA beherrschte immer die Vorstellung, dass sie weit weg von dem zerstrittenen Europa und anderen Konfliktherden sind. Die Zeit ist vorbei. Diese Einsicht hat auch meine Einstellung verändert. Aber vielleicht verkrafte ich das in meinem Alter besser als junge Menschen.

Schützt Alter?

Ich bin in Nazi-Deutschland geboren und groß geworden, bevor ich wegging, und habe den Krieg erlebt. Ich bin daran gewöhnt, in unsicheren Zeiten zu leben und dass man in Gefahr ist. Ich war 21 Jahre in Lebensgefahr und habe das gewusst.

Damit hat man gelebt – aber auch damit, dass man sich nicht klein machen lassen darf. Für meine Kinder ist das Gefühl der Verletzlichkeit neu, für mich nicht.

Sie bezeichnen sich als „durch und durch Amerikaner“. Was bedeutet für Sie der augenblickliche Kurs der Bundesregierung in der Irakdebatte? Sind das antiamerikanische Züge?

Ich glaube nicht, dass der Bundeskanzler antiamerikanische Politik macht.

Ihr Botschafter hat das so formuliert.

Schröder verficht eine sehr klare Position, indem er sagt, dass es unter keinen Umständen einen Krieg gegen den Irak geben darf. Auch ich bin gegen Krieg, aber auch der Ansicht, dass man sich die Frage stellen muss, wie weit Pazifismus zum Erfolg führt und ob es gewisse Situationen gibt, in denen man nicht anders kann. Hitler hätte man nicht anders beseitigen können als durch Krieg. Und man weiß, dass Saddam Hussein bereit ist, Massenvernichtungswaffen anzuwenden.

Es gibt Zweifel, dass er sie hat.

Richtig, Bush muss sich erklären.

Sie haben gesagt, dass Sie wohl kaum als der 64. US-Finanzminister in Erinnerung bleiben, sondern als Direktor des Jüdischen Museums Berlin. Warum? Und ist das nicht etwas bitter?

Nein, nein, nein. Ich blicke mit Freuden und mit Stolz auf die Zeit hier. Es war eine Ehre und eine Genugtuung. Ähnliches gilt für meine Zeit als Finanzminister und als Firmenchef. Aber das habe ich als Flüchtling gelernt: dass Titel, selbst Geld vergänglich sind. Es gibt nur einige Dinge im Leben, die bleiben. Und das finde ich an dem Museum schön: Ich glaube, das (haut mit den Finger auf Tisch) wird bleiben.