„Ich bin wild, lesbisch, gut“

Chavela Vargas ist die Diva Mexikos. Keine spanischsprechende Sängerin ist populärer, keine andere ist so legendenumwoben. Der spanische Regisseur Pedro Almodóvar hat sie zu seiner Muse gemacht. Ein Porträt

von ULRIKE FOKKEN

Ihre Seelen sind wohl verwandt. Über Kontinente hinweg, durch zwei Generationen voneinander getrennt. Ein Mann und eine Frau, die sich lieben, wie nur Freunde sich lieben können. Als Pedro Almodóvar und Chavela Vargas sich Anfang der Neunzigerjahre kennenlernten, war Almodóvar bereits der Star des neuen Spaniens, der nach der Agonie des Landes die Avantgarde der Achtzigerjahre geprägt hatte. Einer, der die Themen Liebe und Eifersucht in schrillen Farben zu neuer Schönheit verwob.

Chavela Vargas war damals ein „tot geglaubtes Idol aus Mexiko, 73 Jahre alt, die in Madrid ihr zweites Leben begann“, wie sie sagt. Eine zweite Karriere als Sängerin, als La Vargas, ein Leben nach 45.000 Litern Tequila, aber immer „der echte Tequila, nicht der Synthetische“, wie sie in ihrer jüngst erschienen Autobiografie selbst scherzt. Vielleicht hätte Chavela Vargas Almodóvar auch im Delirium während der schwarzen fünfzehn Jahre ihres Leben als Seelenverwandten erkannt. „Pedro ist meine Fortführung, wir ähneln uns so sehr, wir folgen so sehr aufeinander, dass ich alle meine Gefühle in ihm weiterleben sehe.“

Beide werden von den ewigen Themen Liebe, Leidenschaft und der Einsamkeit nach dem Verlassenwerden zum künstlerischen Ausdruck getrieben, von Themen, die die Menschen in Südamerika und Spanien mehr zu beschäftigen scheinen, als die Bewohner anderer Ländern.

Diese Dramen der menschlichen Beziehungen bestimmen auch Almodovars Filme. In „Kika“ (1993) und „La flor de mi secreto“ („Mein blühendes Geheimnis“, 1995) gibt er in Schlüsselszenen der Stimme von Chavela Vargas Raum, die Handlung mit ihrer tiefen Stimme zu timbrieren. Und in seinem Film „Tacones Lejanos“ („High Heels – Die Waffen einer Frau“, 1991) hat er einen der wichtigsten Hits von Vargas – „Piensa en mí“ („Denk an mich“) – vom spanischen Popstar Luz Casal singen lassen.

„Ich wünsche mir, dass die Menschen bei meinen Filmen spüren, was ich bei Chavelas Musik empfinde“, sagt Almodóvar, und so gehört Chavela Vargas zu seinen Filmen wie der junge Antonio Banderas, Victoria Abril oder Marisa Paredes. Und selbst wenn sie alle nicht mehr in dem jüngsten Film von Almodóvar, in „Sprich mit mir!“, auftauchen, hat Chavela Vargas doch auch diesen vordergündig so untypischen Film Almodóvars beeinflusst.

„Dieser Film schafft eine Verbindung zum Herzen des Zuschauers“, sagt Almodóvar. In ruhigen Bildern erzählt er in dem Film die Geschichte der Einsamkeit nach einem Verlust. „Ich möchte, dass der Film so wirkt, als wenn Chavela auf der Bühne singt, und du glaubst, dass du vor ihr beichtest. Sie spricht einzig und allein von dir, von dem was du erlitten hast und von all deinen Enttäuschungen. Und das alles ohne moralische Urteile und ohne Bestrafungen.“

Das mögen Spießbürger nur in Maßen gern. Sie scheuten sich früher selten, über Chavela Vargas zu richten – über ihre Alkoholkrankheit, über ihre Homosexualität, über ihre Freizügigkeit schlechthin. Im Spanien der Francodiktatur waren etliche ihrer Lieder verboten, in Kuba hat sie noch heute Einreiseverbot, weil sie sich despektierlich über Fidel Castro äußert.

Rund zwanzig Jahre lang, bis in die Siebzigerjahre, war Chavela Vargas in Mittel- und Südamerika so bekannt und verehrt wie Edith Piaf in Europa. Ihre Lieder, seit jeher einzig von zwei Gitarristen begleitet, gehören zur kulturellen Identität der Südamerikaner des 20. Jahrhunderts. Sie verkörperte die gleiche melancholische Verheißung und laszive Hingabe wie Billie Holiday.

Und ebenso wie Piaf und Holiday nimmt sie die traditionelle Musik ihres Landes auf und entwickelt sie durch ihren sehr eigenen und manchmal sehr sentimental klingenden Stil weiter. Die Musik der Vargas wirkt leicht folkloristisch, dabei hat sie bereits in ihrem ersten Leben vor dem Alkoholabsturz auf jegliche Mariachiromantik verzichtet. Chavela Vargas klingt noch heute, mit 83 Jahren, aufmüpfig und aufständisch – scheint ihre Wut auf verklemmte Kleinbürger und lustfeindliche Misanthropen nie gelindert zu haben.

Ihre Hymne auf die chinesischstämmige Afrokubanerin Macorina klingt 35 Jahre nach der Entstehung noch ebenso anrüchig wie im korrupten Havanna der Batistaära. „Ponme la mano aqui, Macorina“ – „Leg deine Hand hierhin, Macorina“, singt La Vargas in gurrendem Ton mit anschmiegsamen Zischlauten, die nie einen Zweifel daran gelassen haben, wohin die karibische Schönheit ihre Hand legen soll.

Das Lied hat es also in sich. „La Macorina“ war in Südamerika derart bekannt und beliebt, dass die Guerrilla von El Salvador das Lied als Kampfparole übernommen hat. Dort allerdings, wo Chavela Vargas ein leidenschaftliches „Ahh“ in das Mikrofon hauchte, schmetterten die Kämpfer: „Leg deine Hand auf die Wunde, Macorina, die mir die Kugel der Revolution gelassen hat.“

Gesungen hat Chavela Vargas schon als Kind, wenn sie Kaffeenüsse und Orangen auf den Plantagen ihrer Onkel in Costa Rica pflücken musste. In den ersten Lebensjahren erkrankt sie an Polio. Die Medizinmänner der indianischen Urbevölkerung heilen sie mit den Pflanzensäften des Urwalds, und noch heute vertraut Chavela Vargas auf die Kräfte der Schamanen.

„Sie haben mich auf den Tod vorbereitet, der nur ein Schritt ist – ein Schritt in die Freiheit“, sagt Vargas. Ihre Eltern aus dem Bürgertum ließen sich wenige Jahre nach ihrer Geburt scheiden. Nachdem Chavela zunächst mit ihrer Mutter und ihrer Schwester Ofelia in San José lebt, schickt die Mutter sie kurze Zeit später zu Verwandten aufs Land.

Ihre Kindheit dort – ein Trauerspiel. Sie arbeitet früh, lernt mit sechs Jahren mit einer Pistole umzugehen und sich selbst zu schützen, hungert und ist in ihrer Familie das ungeliebte Kind. Solange sie sich zurückerinnern kann, schreibt Vargas in ihrer Autobiografie, haben die Menschen sie für verrückt erklärt. Als sie das „unerträgliche Dasein“ bei ihren Verwandten nicht mehr aushalten will, zieht sie zu ihrem Vater in die Stadt. Doch der möchte sie am liebsten in die Psychiatrie einweisen lassen – allzu widerspenstig kommt ihm seine Tochter vor.

Mit vierzehn Jahren hat Chavela Vargas endgültig genug, flieht nach Mexico und weiß nur, dass es besser werden kann. Und dass sie singen möchte, „singen, wie nur die Mexikaner singen können“. Es dauerte etliche Jahre, ehe es so weit war. Die ersten Kritiker fanden die Stimme von Vargas grauenhaft. Sie ließ sich jedoch davon nicht abhalten, verdiente ihren Lebensunterhalt zunächst als Köchin, handelte mit Kinderkleidung und organisierte einen Fahrdienst für Hausangestellte. Wenn es möglich war, sang sie in den Tavernen und Nachtlokalen der mexikanischen Hauptstadt. Und die zarte Frau mit den ebenmäßigen Gesichtszügen, den trotz ihres Strahlens immer ein wenig melancholischen Augen und dem großen Mund fiel auf.

Sie tingelte von Bar zu Bar und arbeitete schließlich während der Saison im damals mondänen Ferienort Veracruz. Die nord- und südamerikanische Schickeria aus Politikern, Filmdiven, Industriellen und Gangstern traf sich damals gern in dem Ort am Golf von Mexico. Sie lernt die Richtigen und Wichtigen kennen. Die erfolgreichen Komponisten Agustín Lara und José Alfredo Jiménez sind begeistert von Vargas Ausdruckskraft und schreiben fortan Texte und Kompositionen für sie.

Wegen ihrer indianischen Gesichtszüge bekommt sie Rollen in mexikanischen Filmproduktionen. Sie ist eine enge Freundin von Frida Kahlo und wohnt monatelang mit der surrealistischen Malerin und ihrem Mann Diego Rivera zusammen. Neben der internationalen Boheme und der künstlerischen Avantgarde Amerikas, die sich in den Vierziger- und frühen Fünfzigerjahren in Mexiko trifft, schätzen aber auch die Damen der mexikanischen Gesellschaft den Umgang mit Chavela Vargas, die so vielversprechende und unverschämte Lieder singt.

An dieser Anhänglichkeit, ja Verehrung hat sich bis heute kaum etwas geändert. Vor zwei Jahren, erzählt Chavela Vargas, näherte sich ihr in einem Restaurant in Madrid eine Dame und fragte sie flüsternd, aber bestimmt: „Chavela, wann gehen wir zusammen ins Bett?“

La Vargas, die man oft für merkwürdig, irgendwie seltsam und nonkonform gehalten hat, wundert sich in ihren äußerst witzigen Memoiren keineswegs über die Äußerung der Dame: „Ich bin eine Frau, mutig, wild, lesbisch und gut.“

ULRIKE FOKKEN, 37, ist Journalistin in Berlin. Sie schreibt meistens über Wirtschaft, Finanzen, Umwelt und Landwirtschaft, interessiert sich allerdings besonders für die Skurrilitäten und Leidenschaften Spaniens