Wer zuletzt lacht, lacht im Westen

Der Humor: ein harmloses Thema? Von wegen. Das neue „Merkur“-Doppelheft beschäftigt sich mit dem Lachen – und löst eine kontroverse Debatte aus. In Frage steht, ob über Mächtige nur im Westen gelacht wird und ob die Spaßgesellschaft nach dem 11. 9. verteidigt werden muss. Zwei Rezensionen

Zu Recht gegeißelt wird der Dünkel der besseren Kreise und die Ballermanns dieser Welt

Eine zentrale Botschaft, die der Merkur gern über sich selbst verbreitet, lautet, er bürste den intellektuellen Mainstream gegen den Strich. So leiten die Herausgeber der Zeitschrift, Karl Heinz Bohrer und Kurt Scheel, auch ihr aktuelles Sonderheft mit Bemerkungen ein, die den Willen zum Tabubruch zumindest andeuten.

„Lachen. Über westliche Zivilisation“ lautet der Hefttitel; erprobt wird die These, dass Humor, Komik und ähnliche Gestimmtheiten von Geist und Zwerchfell in einem inneren Zusammenhang mit dem Abendland als solchem stünden. Als Gegner dieser Sicht der Dinge sind schnell benannt: die jüdisch-christliche „Verachtung des Lachens“ und die schlecht gelaunte Kulturkritik Adornos. Besonders Letztere fasse sämtliche „Topoi der Kulturkritik“ emblematisch zusammen, die „aktuell auf die ‚Spaßgesellschaft‘ gemünzt werden“, behaupten Bohrer und Scheel – und blasen zum Kampf gegen diese Hegemonie. Hat sich die professoralste unter Deutschlands Kulturzeitschriften zum Sturmgeschütz für Stefan Raab und Guido Möllewelle gewandelt? Das nicht; ihr geht es um eine Kritik der Spaßkritik.

Man könnte lange über diese These diskutieren: Es ist zum Beispiel keineswegs ausgemacht, dass man sich genau dann „mit einiger Sicherheit im Westen, jedenfalls in einer Demokratie“ befindet, wenn öffentlich „über die Mächtigen gelacht“ wird. Wer unter Öffentlichkeit nicht nur Verlautbarungen versteht, wird in der afrikanischen Gegenwart ebenso wie im europäischen Absolutismus funktionierende Kulturen politischen Witzes finden. Die eigentlich bemerkenswerte Volte in diesem Geleitwort ist aber folgende: Die Anschläge vom 11. September, so die Herausgeber, hätten sich „explizit“ gegen den westlichen Hedonismus gerichtet, und für diese feindliche Einstellung gegen die „Spaßgesellschaft“ hätten „hiesige Kulturkritiker“ immerhin „Sympathie“ aufgebracht.

Abgesehen davon, dass an jenen Anschlägen ohne Bekennerschreiben überhaupt nichts „explizit“ war: Den todbringenden Terrorismus und miesepetrige Intellektuelle als Gesinnungsbrüder zu betrachten, diese Konstruktion wäre zum Lachen – wenn sie nicht gelegentlich in dem Heft wiederkehrte, etwa in dem Beitrag Harald Martensteins, der zu erkennen meint, wie sich „friedliche Philologen“ zu „geistigen Partnern muslimischer Gotteskrieger“ verwandeln, wenn sie die Spaßgesellschaft kritisieren. Deutschland, umzingelt von entsicherten Adorniten?

Auch der Germanist Jochen Hörisch schmiegt sich eng an die Perspektive der Herausgeber. Er benutzt die berüchtigte Terror-Interpretation Jean Baudrillards, um zu zeigen, wie Intellektuelle den Opfern selbst die Schuld für den Terror zuschöben; er erläutert die kulturell-technische „Unproduktivität“, „Erstarrung“, „Versteinerung“ des Islam mit dem Hinweis: „Es gibt sehr viele jüdische und sehr wenige muslimische Nobelpreisträger.“

Auch wenn sich Merkur-Leser in den letzten Monaten an dessen Neigung zum Kulturchauvinismus gewöhnt haben mögen, stockt einem doch der Atem angesichts des bedenkenlosen Tempos, mit dem Hörisch etwa die ach so ausgeprägte Paradoxiefähigkeit von jüdischer und christlicher Religion gegen einen nur unitarisch denkenden Islam ausspielt – als gäbe es keinen Fundamentalismus im Namen Jahwes oder der Dreifaltigkeit. Hans Ulrich Gumbrecht verfährt raffinierter. Er distanziert sich ausdrücklich von „jener süffigen Selbstbeschreibungstradition, die Lachen und Humor so gerne und bedenkenlos mit ‚Humanismus‘ und ‚Humanität‘ – mit zugleich westlich und universal gemeinten Selbstbeschreibungen – gleichsetzt“. Genauso ausdrücklich bringt er diese Distanzierung wieder ins Wanken. Er vertritt die These, dass sich das Lachen in den USA wesentlich durch „Hereinlachen“ auszeichne. Das heißt, das amerikanische Gelächter integriere eine ethnisch wie kulturell heterogene Gesellschaft und halte dabei „die Grenze zwischen dem je Vernünftigen und dem je Anderen flexibel“.

Gumbrecht schließt sich also der Ansicht an, dass Humor und demokratische Offenheit verwandt seien. Aber anders als etwa Hörisch zeigt er detailliert, wie diese Verbindung funktionieren könnte; und vor allem macht die mehrfach ironische Struktur seines Essays etwas möglich, was diesem Heft ansonsten völlig fehlt: Lachen über westliche Zivilisation.

Genau das aber kann man selbst mit Adorno, wenn man ihn nicht auf das Klischee des elitären Trauerkloßes reduziert. Zur Lektüre empfohlen sei die Popzeitschrift testcard, die sich in ihrer neuen Ausgabe auch dem Thema „Humor“ verschrieben hat. Nicht dass man dort große Essayisten läse. Aber wenn die testcard-Autoren zwischen gelungener Unterhaltung und Ordnung stabilisierenden Witzen über Blondinen unterscheiden, führen sie vor, dass man sehr wohl „krittisch“ (Gumbrecht) mit der Spaßindustrie umgehen kann, ohne diese im Ganzen zu verdammen. Ob sich die Merkur-Herausgeber von einem popkulturell informierten Blick auf die „Dialektik der Aufklärung“ noch irritieren lassen würden?

RENÉ AGUIGAH

Die Zeitschrift Merkur genießt seit dem 11. September vorigen Jahres in intellektuellen Kreisen, die noch auf eine linke, auf jeden Fall linksliberale Identität halten, einen abtrünnigen Ruf. Der Grund ist lapidar: Die Herausgeber, Karl Heinz Bohrer und Kurt Scheel, haben sich jeder Diskussion verweigert, der zufolge die USA selbst einen Teil der Schuld, wenigstens Verantwortung an den Terroranschlägen auf die Twin Towers trügen.

Im Gegenteil verwiesen beide Herausgeber auf die Selbstbegründungen, wie sie aus den terroristischen islamistischen Milieus vernehmbar waren: auf den Hass auf den Westen, auf seinen Trash, auf seine Inkonsistenzen, Vulgaritäten, auf seine Hochkultur natürlich, auf seine Fleischlichkeit und die unbedingte Freizügigkeit überhaupt, die mehr oder weniger genossen werden kann. Kein Wunder also, dass Bohrer und Scheel Ende 2001 den Einsatz militärischer Mittel gegen das Talibanregime in Afghanistan befürworteten – nicht weil dieser Staat bestraft gehört, sondern weil er, als Okkupationspfand religiöser Eiferer, das Plateau für den von ihnen erklärten Krieg gegen die westliche Moderne abgibt. Scheel wie Bohrer brachten in ihrem Periodikum, einzig in der deutschsprachigen Intellektuellenpublizistik, auf diese Weise überhaupt erst diskussionsfähig zur Geltung, was den Westen in den Augen von Islamisten so hassenswert und aus Sicht des Westens selbst verteidigenswert macht.

Nicht der Kapitalismus sei es (auch wenn er zwingend mit zum Programm gehöre), sondern die Freiheit, letztlich leben zu können, wie es beliebt: Es sei denn, einer hindere sich selbst am Streben nach einem (materiell wie seelisch) besseren Leben. Welche Frau mag, beispielsweise, dürfe im Namen Allahs kopftuchverhüllt umherlaufen. Aber weder sie noch islamische Prediger dürften dies anderen Frauen vorschreiben. Die Rede war also stets von individuellen Rechten. Verworfen wurden, teils harsch, teils freundlich im Ton, Bekenntnisse zum Ethnischen, zum Religiösen: Letzteres sei allerhöchstens eine Möglichkeit des Gemüts, die niemanden außer den Religiösen etwas angehe – und die auch keine Gläubigen, hätten sie denn Macht, zum Maßstab gegen die Idee der Freiheit machen können. Das alles schwingt bei der aktuellen, dem „Lachen. Über westliche Zivilisation“ gewidmeten Merkur-Ausgabe mit.

Eine typisch seltsame Mischung aus 27 Texten macht sich hier an die Kunst der Ausdifferenzierung moderner Wahrnehmungen (und der ihnen zugrunde liegenden Weltbilder). Der Philosoph Martin Seel schreibt über den Humor als Laster. Gustav Seibt plädiert für die Leiblichkeit des Lachens an und für sich. Christoph Türcke essayiert über das Phänomen, dass „Götter lachen, Gott nicht“.

Am besten ist das Heft freilich in jenen Beiträgen, die sich nur en passent um den 11. September scheren: in Kaspar Maases Ausführungen zum Humor der Massen, in Jörg Laus Ausführungen zum „Menschenrecht auf Spaß“ und in Harald Martensteins fulminanter Kritik an den Verächtern der Spaßgesellschaft. Alle drei geißeln, gelegentlich auf das Komischste, den Dünkel, welchen die besseren Kreise den Ballermanns entgegenbringen, den Freuden des Humors der „Sandras und Kevins“ (Maase).

Wobei es zur Spezialität des Merkur gehört, dem Verdikt Adornos wider den „Fun als Stahlbad“ mit schöner Hartnäckigkeit zu widersprechen: Fun kann eben nie ein Teil irgendeines Kanons sein – und wer ihn nicht mag, soll ihn meiden.

Diese Beiträge tun nicht so, als müsste man mit jenen drastischen Spielarten der Herzenslust und der Komik Freundschaft schließen. Aber sie legen den Schluss nahe, dass ein Leben zwischen Ballermann und Schrebergarten für deren Kulturträger erst jene Möglichkeitsdifferenz hervorbringt, die unsere Verhältnisse angenehm von talibanisch-afghanischen unterscheidet. Kurzum: Im Spott Stefan Raabs auf Kanzler Schröders Bierflaschenorder steckt mehr göttliche Wahrheit über unser säkulares System als in einem Sinfoniekonzert mit Werken klassisch-abendländischer Komponisten.

Jörg Lau, politisches Highlight der Ausgabe, bezieht sich ausdrücklich sympathisierend auf den einst verfemten muslimischen Autor Salman Rushdie. Der schritt nach dem 11. 9. wütend die Linie ab, hinter der es für den Westen keine Konzessionen mehr geben kann: Eigentlich sei es das Recht von Frauen, einen Minirock zu tragen; jenes von Homosexuellen, so sein zu können, wie sie sind; der (politische) Pluralismus an und für sich; Tanzveranstaltungen, Ekstase – und die Bartlosigkeit. Also das ganze Repertoire an individuellen Chancen der Inszenierung und des Seins, die im Westen erkämpft werden konnten – und die sich zu nehmen kein Bin Laden der Welt ertragen kann.

Die Frage, ob dem Westen das Lachen über sich selbst Eigen sei und sein muss, um sich nicht seiner Selbstreflexionskraft zu berauben, bleibt im expliziten Sinn unbeantwortet. Aber es liegt nahe, eben dies anzunehmen: Bis heute existieren im arabischen Raum keine Witze über Bin Laden – ein Indiz, dass mit ihm kein sexy Stahlbad zu nehmen ist. JAN FEDDERSEN