Ein Sieg für das Tarifrecht

Bosch und Siemens lenken in Musterverfahren ein: Lehrling muss übernommen werden. Rezession ist kein Grund, den Ausbildungsvertrag zu ändern

BERLIN taz ■ Tarifrechtlich ausgebildete Lehrlinge müssen von den Unternehmen weiter übernommen werden, wenn ihr Ausbildungsvertrag dies vorsah. Sie können nicht mit Verweis auf die schlechte wirtschaftliche Lage gekündigt werden. Das ist das Ergebnis eines Vergleichs vor dem Arbeitsgericht Berlin von Ende der Woche. Demnach muss die Klägerin, eine 19-jährige Inudstrieelektronikerin, nach ihrer Ausbildung bei einer gemeinsamen Tochterfirma von Siemens und Bosch angestellt werden.

Drei juristische Verfahren waren für den Vergleich nötig. Unterstützt von der IG Metall und dem DGB hatte die Berliner Industrieelektronikerin Anne Trendelenburg ihre Ex-Lehrherren Bosch und Siemens auf Festanstellung verklagt. Das Betriebsverfassungsgesetz wie die Tarifverträge in der Metallbranche sehen die Übernahme nach der Lehre ohnehin vor: Doch die Konzerne hofften, neue Präzedenzfälle in Sachen Abwicklung junger Arbeitskräfte zu schaffen.

Umsonst. Nachdem zunächst Klage, Gegenklage und Zusatzklage auf Lohnzahlung gesondert verhandelt wurden, lenkte die Berliner Bosch und Siemens Haushaltsgeräte GmbH nach drei Monaten Streit endlich ein. Sie unterbreitete der 19-jährigen Klägerin genau das Angebot, das diese mit den Prozessen erzwingen wollte: eine Anstellung als Reparaturelektronikerin im Spandauer Werk. 500 Unterschriften hatten Trendelenburgs Kollegen schon dafür gesammelt: Der inner- und außerbetriebliche Druck auf Siemens war mächtig. Der nun zustande kommende Vergleich ist ein eine Bestätigung des Tarifrechts.

Und das, obwohl in den Werken der „Siemensstadt“ bereits Massenentlassungen ausgesprochen und billige Leiharbeiter beschäftigt werden. Mit ihrem Argument, die Auftragslage reiche nicht, um Trendelenburg zu beschäftigen, liefen die Arbeitgeber aber erst recht auf. Das Gericht folgte ihnen nicht bei dem Versuch, bestehendes Arbeitsrecht zu brechen, um Kosten einzusparen. Trendelenburg wird rückwirkend zum 21. Juni eingestellt.

Einen Moment des Zögerns leistet sich die Haushaltsgeräte GmbH aber noch: Bis zum 8. Oktober behält sie sich das Recht auf Widerruf vor. Die beteiligten Anwälte sehen darin indes kein Problem, denn es gehe lediglich um den Ausschluss einer betriebsbedingten Kündigung innerhalb ihres ersten Berufsjahres. Hinter den Kulissen machte sich schon ein Betriebsleiter stark für die junge Frau: Sie engagierte sich nicht nur in der Jugendvertretung des Konzerns, sondern gab auch am Arbeitsplatz häufig Anlass zu Lob.

GISELA SONNENBURG