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: Ich geh einfach rein und schieß alles klein: Franz Dobler liest seine Westerngedichte

Der Künstler und die Knarre

„Come to where the flavour is.“ Man dachte immer, das sei Westernlyrik. Ein knapp verführerischer Jambus jedenfalls, der armen Rauchern noch in die Askese folgt. Samt dampfendem Kaffeebecher, den Männerpranken nach der Mustangzähmung sanft umschließen, samt tieferer Einsicht in das verlogen Authentische der inneren Rocky Mountains, durch die der Blues Cowboys und -girls zu treiben pflegt. But. You better listen to Franz Dobler.

Der in Bayern beheimatete Autor und Johnny-Cash-Biograf hat zusammen mit dem Komponisten Hubl G eine Westernlyrik-Platte abgemischt, auf der alles stimmt. Ja, das gibt’s. Schon auf dem Cover ein wahrscheinlich hochberühmtes Schwarzweißfoto, das den Ton angibt: Es zeigt im Vordergrund den Rücken eines hageren, glatzköpfigen Brillenträgers in Jeans und weißem Hemd. Mit einem Revolver in der ausgestreckten rechten Hand rennt er über einen Parkplatz, wobei die Linie zwischen Brillenrand und Revolverlauf die bilddiagonale Frage stellt: Hat er schon geschossen oder wird er noch? Der Mann ist gleichwohl nicht Franz Dobler, sondern William S. Burroughs, der im Drogenrausch Wilhelm Tell spielend seine Gattin erschoss. Mit ihm ist nur eine von vielen Referenzen benannt, mit denen der Dichter seine Magazine belädt. Der Künstler und die Knarre: Doblers schon ein paar Jahre alte „Westerngedichte“, versammelt unter dem Titel „Der Tag an dem ich allen Glück wünschte“, spielen das Problem mit dem atmosphärisch nötigen Ernst ironisch durch.

Dabei basieren sie auf transparentem Lug und Trug. Das beginnt beim angeblichen Lyrik-Genre, das sich hinterrücks als regelfreie Zone entpuppt, und endet beim Soundtrack, der Cash-Country weiträumig umfährt. Hubl G’s melancholisch kühler Ambient bettet das Programm gleich anfangs mit samtiger Trompete: „Ich kann kein Blut sehen. Ich weiß nicht, wie viel Uhr es ist, wenn die Sonne da steht. Ich kann keine Flasche Jack Daniels trinken und gerade rausgehen …“ Doch dann: „Ich könnte nicht des Teufels Großmutter das Kissen unterm Arsch wegziehen, ohne dass sie es merkt. Aber ich würde ihr die Hand schütteln, und sie würde sagen: Sei zufrieden, dass du schreiben kannst wie mein eigener Sohn.“ So wird grinsend der Colt gezogen.

Und dann scharf geschossen. Als rhythmische Etüden und schnelle Storys vernieten die Westerngedichte Bayern mit Texas, bekennen sich zur Selbstbedienung bei bislang unübersetzten Country-Songs, zitieren so gewandt wie trocken aus dem Archivmaterial des Best-Western-Volksheldentums und der Geschäfte, die sich mit ihm machen lassen. „Wirst du kein Stern, bleibst du ein Nichts.“ Es braucht so manche Harte-Männer-Sätze, um die komische Fallhöhe zu sichern – je größer, desto besser. Jesse James und Billy the Kid, die Daltons und der Kraudn Sepp belegen: Die Legende ist oft ein gefallener Sheriff, zumindest aber Moralist und Melancholiker. Konsequent reicht Doblers Munition dann auch bis Dachau, wo er ein Nazi-Merkblatt für KZ-Häftlinge aufgestöbert hat. Die dort verzeichneten Tugenden auf dem „Weg zur Freiheit“ entfalten ihren Zynismus doppelt, wenn Dobler in Deppendeutsch liest bis zur „Lie-bee zum Va-ter-lan-dee“. Umgekehrt kontert der „Weg zur Hölle“: „Fascho? – Leute, es muss Faschist heißen.“

Wie gut überdies, dass Dobler taktgenau einzusetzen weiß, dass Hubl G nicht pausenlos, dafür umso wirkungsvoller seine Sounds ausbreitet und der Lieblingsblödler puristisch in die Beinah-Endlosschleife geht: „Denn ich habe kein Geld / Und ich hab kein Gebet / Und ich geh einfach rein / Und ich schieß alles klein.“ Dann erst knister-knister, Samplezuschuss, Beat und E-Gitarre: High Noon.

EVA BEHRENDT

Franz Dobler: „Der Tag an dem ich allen Glück wünschte. Westerngedichte“. Soundtrack: Hubl G. Hörkunst. Verlag Antje Kunstmann, München 2002, 63 Min., 16,90 €