Krawalle wieder als Poster

Polizei fahndet erneut mit Plakaten nach potenziellen Straftätern des 1. Mai. PDS ist wenig begeistert über die Steckbriefe. Republikanischer Anwaltsverein spricht von einem Aufruf zur Menschenjagd

von PLUTONIA PLARRE

Es ist Herbst. Die Sonne taucht die Häuser in goldenes Licht, die Blätter beginnen rot zu werden. Vom Frühling spricht schon lange keiner mehr. Nur die Polizei schwelgt noch vom Wonnemonat Mai. Sie startet eine bundesweite Fahnungsaktion nach 53 Personen, die am 1. Mai 2002 in Kreuzberg Steine geworfen und Läden geplündert haben sollen. Ab Mitte der Woche sollen 3.000 Plakate mit den Fotos der zumeist jungen Frauen und Männer in öffentlichen Gebäuden und Polizeiwachen aufgehängt werden. Auch ins Internet werden die Bilder gestellt.

Schon im Vorjahr hatte die Polizei mit einer ähnlichen Aktion nach mutmaßlichen 1.-Mai-Randaliern gefahndet. Damals wurde die Stadt noch von einer großen Koalition regiert. Aber auch die rot-rote Landesregierung ist für die Polizei kein Hinternis. Die innenpolitische Sprecherin der PDS, Marion Seelig, macht zwar keinen Hehl daraus, dass sie von der Neuauflage der Aktion alles andere als begeistert ist. Mit so einer Steckbriefaktion, so Seelig, sollte eigentlich nur „nach wirklichen Schwerverbrechern“ gefahndet werden, weil die Gefahr der Denunization von Unschuldigen zu groß sei. Eine Landesregierung, egal welcher Couleur, sei aber gut beraten, den Ermittlungsbehörden in dieser Hinsicht nichts vorzuschreiben. „Fahnungsmaßnahmen“, so Seelig, „sind alleinige Aufgabe von Polizei und Staatsanwaltschaft.“

Der Bundesvorsitzende des Republikanischen Anwaltsvereins, Wolfgang Kaleck, spricht dagegen ganz offen von „einem Aufruf zur Menschenjagd“. Die Plakataktion 2001, so Kaleck, habe gezeigt, dass „eine Vielzahl von Unschuldigen in den Einzugsbereich von Polizeimaßnahmen“ gekommen seien. „Es handelt sich um eine rein populistische Maßnahme, mit der von den wahren Problemen der Stadt abgelenkt werden soll.“

Im Vorjahr war mit 16.000 Plakaten nach 85 Personen gefahndet worden. Durch über 500 Hinweise aus der Bevölkerung waren laut Staatsschutz schließlich 34 Verdächtige ermittelt worden. 8 davon sollen inzwischen verurteilt worden sein. Eine Statistik darüber führt die Justiz nicht. Mit Blick auf diese Zahlen sprach Polizeipräsident Dieter Glietsch (SPD) gestern von einer „guten Quote“. Das Vorjahresergebnis habe Polizei und Staatsanwaltschaft angespornt, die Aktion zu wiederholen. Die Fahndung beginne diesmal erst fünf Monate nach dem 1. Mai, so Glietsch, weil die Polizei in Sachen 11. September so viel zu tun gehabt habe. Dass Unschuldige verdächtigt würden sei „bei so einer Aktion nicht vermeidbar“. Dies sei aber kein Grund, darauf zu verzichten. Schließlich seien Plünderungen und Steinwürfe schwere Straftaten.

Glietschs Vorgänger, Hagen Saberschinsky, hatte die Großfahndung im Vorjahr mit den Worten begründet: Der Staat müsse sich abwehrbereit zeigen. Die beste Prävention sei die Repression. Zumindest bei Letzterem ist Glietsch bezüglich des 1. Mai anderer Meinung. Er verstehe unter Prävention, „dass wir noch mehr über den Einsatz von Kreativität nachdenken, um die Gewaltbereitschaft frühzeitig zu mindern“. Ziel des Polizeipräsidenten ist, Anfang November mit einer öffentlichen Diskussion zu beginnen, in die – wenn möglich – auch Personen wie der FU-Professor Peter Grottian eingebunden werden sollen.