Das Leben nach dem Tode

In Thomas Imbachs „Happiness is a warm gun“ bringen Petra Kelly und Gert Bastian Liebe und Politik durcheinander

„Gertilein“ und „Petrilein“ haben sie sich genannt, und am Ende waren sie beide tot, mit einer Kugel im Kopf, weil ihre Liebe zu groß und die Welt nicht gut genug war für sie. Mehr als zehn Jahre nach dem Aufstand von 1968 nahmen Petra Kelly und Gert Bastian noch einmal die Parole jener Tage beim Wort, die sich schon längst als besonders unrealistisch erwiesen hatte. Ihre Liebe war politisch, ihre Politik eine Liebesaffäre, das Politische privat, und das gemeinsame Leben folglich ein einziger Taumel leidenschaftlicher Forderungen, über deren moralische Reinheit die beiden mit der verbissenen Wut eifersüchtiger Liebhaber wachten. Nie zuvor im Nachkriegsdeutschland war die Politik so hemmungslos sentimental und so durch und durch amerikanisch wie bei Petra Kelly: Stoff genug also für einen Dokumentarfilm über eine erstaunliche Episode der deutschen Zeitgeschichte.

Für den Schweizer Dokumentarfilmer Thomas Imbach jedoch liegt die Legende von Petra Kelly und Gert Bastian, dem einst überzeugten Nazi und späteren Panzergeneral, der in Kellys Armen zum Pazifisten wurde, in einer so unwirklich fernen Vergangenheit, dass er gar nicht erst versucht, ihren historischen Kontext darzustellen. Er möchte rein gar nichts erklären und hat deswegen seinem Film den Namen eines Musikstücks gegeben: „Happiness is a warm gun“. So gewaltsam obszön, wie es diese etwas rätselhafte Refrainzeile des späten Beatles-Songs nahelegt, spielen Linda Olsansky und Herbert Fritsch vor, was sie für Kellys und Bastians Liebe und Leben hielten.

Es ist ein Leben nach dem Tode: Das ist Pointe des Films, die ihn von Anfang an davor bewahrt, in den zeitgeschichtlichen Umständen des Dramas stecken zu bleiben. Stattdessen treibt sie die moralische Selbstgewissheit des ungleichen Paares auf die logische Spitze. Der Film beginnt mit dem Schuss in die Schläfe, mit dem Bastian die schlafende Kelly getötet hatte, bevor er sich selbst die Pistole an den Hinterkopf setzte. Ganz am Ende werden die beiden mit der ihnen eigenen Geschwätzigkeit darüber räsonieren, dass auch dieser Gewaltakt ein Liebesdienst war, nicht anders als die endlosen Verhöre, denen sie zuvor sich selbst und den Rest der Welt unterzogen hatten.

War das wenigstens Liebe? Wenn schon keine Politik? Was Imbachs Film vor allem auszeichnet, ist seine Weigerung, solche Fragen auch nur zu stellen. Er löst sie auf in eine hart geschnittene, rasende Sequenz von Einzelszenen, in denen die Darsteller ohne vorher festgelegten Text versuchen, Petra Kelly und Gert Bastian nicht zu spielen, sondern zu sein. Imbach gab ihnen lediglich historische Quellen zum Rollenstudium in die Hand. Natürlich ist ihnen die verlangte Identifikation nur selten gelungen, und Imbach hat volle 150 Stunden Film belichten müssen, um am Schneidetisch 90 Minuten montieren zu können. Dass ihm ein Film von manchmal bestürzender Dichte gelingt, darf ruhig als Wunder betrachtet werden, zumal er sich so weit wie möglich von den unerträglichen Vorstellungen des Schönen und Guten entfernt, die bei Petra Kelly und Gert Bastian zeitlebens notorisch waren.

NIKLAUS HABLÜTZEL

„Happiness is a warm gun“. Regie: Thomas Imbach, mit Linda Olsansky, Herbert Fritsch u. a., 90 Min., Schweiz 2001