Deutsches Butterbrot

Edel in Strenesse eingekleidete Schaufensterpuppen, verteilt über die volle Länge der 80 Meter messenden Fensterfront der Schirn-Kunsthalle in Frankfurt, laden zur Ausstellung „Shopping“ ein

von BRIGITTE WERNEBURG

Elegisch schauen die 41 in Strenesse gekleideten Schaufensterpuppen ins Leere. Wer bei ihrem Anblick glaubt, er habe sich im Ort getäuscht, der irrt. Der israelische Künstler Haim Steinbach hat sie tatsächlich über die volle Länge der 80 Meter messenden Fensterfront der Schirn plaziert. Die Verwechslung der Frankfurter Kunsthalle mit einem Flagship Store des Sponsors ist gewollt. Die edle Auslage lockt in die aktuelle Ausstellung, die „Shopping“ heißt. Innen allerdings findet sich der Besucher erst einmal in einem Tengelmann-Supermarkt wieder. Guillaume Bijls 1:1-Installation tritt als ein prächtes Stillleben auf, in dem nichts fehlt, das frische Obst so wenig wie die aktuelle Bild oder die Pinnwand mit den Biete/Suche-Kärtchen. Nur bezahlen kann die Besucherin nicht und damit auch nicht einkaufen, was sich als großer Fehler der Arbeit herausstellt. Denn das nostalgische Gefühl, im Spielzeugkaufladen der frühen Kindertage unterwegs zu sein, ist nicht besonders hilfreich, um den Eindruck zu widerlegen, man sei sehr schnell wieder im Museum angekommen. Um ihn zu vermeiden, bräuchte es doch die konsequente Durchführung der Supermarkt-Idee.

So wie damals, 1964, als Andy Warhol, Roy Lichtenstein, James Rosenquist, Jasper Johns, Tom Wesselman, Richard Artschwager, Robert Watts, Mary Inman und Billy Apple ihren „American Supermarket“ in der Bianchini Gallery in New York mit ihren Kunstobjekten bestückten und die schicken Frauen aus der Nachbarschaft eher unabsichtlich mit Chromstahlgemüse vom Einkauf nach Hause kamen. Doch wie sollten sie auch der zur Kunst erhobenen Banalität von Dosensuppen widerstehen? Die Rekonstruktion des „American Supermarket“ ist der Höhepunkt einer Archäologie in jüngerer Kunstgeschichte, die „Shopping“ betreibt und wofür der Direktor der Schirn-Kunsthalle Max Hollein zusammen mit Christopher Grunenberg, dem Direktor der Tate Liverpool, Installationen, Fotografien und Gemälde aus rund 100 Jahren zusammengetragen und dazu 70 internationale Künstlern eingeladen hat.

Die 60er-Jahre kommen überraschend munter daher. Claes Oldenburgs etwa bot 1961 in „The Store“ Dessous, Eiscreme sowie Fleisch- und Wurstwaren als bemalte Skulpturen aus Gips und Musseline an. Jetzt ist „The Store“ in einigen Elementen in der Schirn wiederaufgebaut und in Fotografien dokumentiert. Fotos zeigen auch Gerhard Richter und Konrad Lueg bei ihrer Aktion „Leben mit Pop – Eine Demonstration für den Kapitalistischen Realismus“ in der sie 1963 das gesamte Möbelhaus Berges in Düsseldorf zur Ausstellung erklärten. Sie selbst saßen derweil bei laufender „Tagesschau“ in einem auf weiße Podeste gehobenen Wohnzimmer, in dem sie hin und wieder Fichtennadelduft versprühten. Bei ihrer anschließenden Besucherführung durch das Möbelhaus kam es zum Eklat mit dem überforderten Besitzer.

Als die Künstler anfingen, sich mit der Warenwelt auseinander zu setzen, war es ganz deutlich die Warenansammlung, die faszinierte. Das Motiv des standardisierten Produkts, am besten seriell gereiht, zieht sich durch, angefangen bei Albert Renger-Patzschs Fotos von Aluminiumtöpfen bis hin zu Warhols Brillo-Box. Die Attraktion des Einkaufens selbst, die Strategien der Verführung, sind eine neuere Entdeckung; wie die Versprechungen des Luxus. An sie knüpft Sylvie Fleury heute mit ihrem „Easy. Breezy. Beautiful“-Einkaufswagen in der Eingangshalle der Schirn parasitär an. Es handelt sich zwar nur das übliche Standardmodell, freilich rundum vergoldet. Auch „Shopping“ rechnet offensichtlich damit, dass dort, wo teuer und Label drauf steht, die Leute in Scharen kommen. Merkwürdig ist nur, dass eigentlich alles, was eine Kunsthalle auch sonst zeigt, unter teuer und Label fällt. Die „Powerless Structure“ des norwegisch-dänischen Künstlerduos Michael Elmgreen und Ingar Dragset immerhin macht das klar. In wenigen Worten kündigt sie im Eingangsbereich der Schirn die Eröffnung einer Niederlassung des Kunstauktionshauses „Phillips, de Pury & Luxemburg Auctioneers“ an. Den Spaß, einen Andreas Gursky für rund eine Million Euro zu ersteigern, gönnen sich Leute, die gerade mit der Prada-Yacht beim Louis Vuitton Challenger Race um die Teilnahme am America’s Cup verlieren.

Apropos Prada und Gursky: beide Labels sind selbstverständlich in „Shopping“ vertreten. Niemals sahen die prätentiös minimalistischen Regale der Modemarke, einmal mit Schuhen bestückt, einmal mit schwarzen Pullovern und einmal leer geräumt, so brillant aus wie auf Gurskys Großformaten „Prada I–III“. Die profane Spiritualität findet sich auch im Schrein von Tom Sachs wieder, der verspricht, dass selbst gewöhnlichem Fast Food echte Weihen zukommen, allerdings nur als „Chanel Special Meal“ oder als „(Hermès) Crispy Chicken Deluxe“ verpackt. Die gläsernen Tresore des Neuen, in denen Jeff Koons Ende der 80er-Jahre seine Hoover-Staubsauger aufbahrte, dagegen sind schon altbekannt. Zu erwartbar und erstaunlich abgenutzt auch Richard Prince’ refotografierte Uhren, Katharina Fritschs „Warengestell mit Vasen“, Thomas Bayrles „Glücksklee“-Säule, Damien Hirsts „Pharmacy“ und der Einkaufswagen im Stretched-Limousine-Format von Maurizio Cattelan oder der von Christo verpackte.

Vielleicht liegt es an den heute so bescheiden anmutenden Ausmaßen des „American Supermarket“ und seiner erkennbaren Attrappenqualität, dass sich die fröhliche Dreistigkeit des Environments bewahrt hat. Vielleicht liegt es aber auch am Zufall, dass der gewöhnliche Alltag dem historischen Part der Aussstellung so stark entgegenkommt, der mit Schaufensterfotos von Eugene Atget, Walker Evans und Berenice Abbott beginnt, um dann den surrealistischen Kult um das Mannequin und die Präsentationsvorschläge der Bauhäusler für standardisierte Industrieprodukte in Erinnerung zu rufen. Kaum hat man nämlich die Ausstellung verlassen, stößt man auf die zweifellos gelungenste Installation der Frankfurter Einkaufswelt. Sie wurde allerdings nicht von der Schirn, sondern von der Centralen Marketing-Gesellschaft der deutschen Agrarwirtschaft, kurz CMA, organisiert und heißt „Tag des deutschen Butterbrotes“. Auch hier darf man nicht kaufen. Man wird beschenkt. Doch wenn Kunst der Schock ist, kurzfristig aus allen Sicherheiten des Alltags zu fallen und verblüfft die Distanz zu spüren, die zwischen einem selbst und der Welt liegt, dann haben die weiß gekleideten Propagandisten, die in der Öffentlichkeit Stullen schmieren, um sie den Passanten in die Hand zu drücken, die Performance des „Shopping“-Tages geliefert.

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