Escrivás Heiligenschein trügt

Die Forderung nach totaler Unterwerfung und eine unselige Nähe zu reaktionären Kräften waren die Markenzeichen von Roms neuem Heiligen

aus Rom MICHAEL BRAUN

Wie zeit seines Lebens war er auch nach seinem Tod: rastlos, energisch, schnell am Ziel. In nur 27 Jahren erreichte Josemaría Escrivá de Balaguer, wozu andere Jahrhunderte brauchen: Morgen erfolgt mit der Heiligsprechung – nachdem Escrivá schon 1992 zum „Beato“, zum Seligen erhoben worden war – auf dem Petersplatz in Rom die Krönung der Laufbahn des unentwegt Aktiven.

Gleich „48 vollständig dokumentierte vollständige und unerklärliche Heilungen“ Schwerkranker, bewirkt von Escrivá, hat Monsignor Flavio Capucci, der Opus-Dei-Anwalt im Heiligsprechungsverfahren, in seinen Akten – dabei hätte es der neue Heilige auch bei zwei Fällen bewenden lassen können. Nach den Richtlinien des Vatikans reicht bereits ein Wunder für die Seligsprechung und ein weiteres als Voraussetzung, zum Heiligen gekrönt zu werden.

Den in den vielen Wundern sichtbaren direkten Draht nach oben hatte Escrivá schon früh: Mit zwei Jahren selbst wunderbar von einer Krankheit errettet, verspürte der 1902 Geborene und in einem ebenso einfachen wie streng katholischen Elterhaus in Nordspanien Aufgewachsene schon mit 15 die Berufung zum Priesterstand. Schon im Seminar sollen ihn seine Kumpels wegen eines ausgeprägten Drangs zu Selbstgeißelung und Bußübungen gehänselt haben.

Das Problem löste sich für Escrivá, als ihn mit nur 26 Jahren die nächste Berufung ereilte: die zur Gründung eines eigenen Vereins. Mit dem ziemlich unbescheidenen Namen Opus Dei, „Werk Gottes“. In erster Linie diente der Verein dem Werk Escrivás, der nun die Regeln diktieren konnte, ohne sich hänseln lassen zu müssen. Laien vor allem wollte er um sich haben, die Kirche in die Welt tragen, „die Arbeit heiligen“. Die Kirche allerdings, die dem spanischen Pfarrer vorschwebte, war nichts für Laue, eher schon was für „Soldaten Christi“. Straffe Disziplin, lückenlose Kontrolle, die mit dornengespickten Bußgürteln (täglich zwei Stunden am Oberschenkel zu tragen) und Selbstgeißelungen (einmal wöchentlich) vollzogene „Leibesabtötung“ sorgten für den rechten Korpsgeist unter den Mitgliedern, die Escrivá am liebsten in den gesellschaftlichen Eliten rekrutierte – die „Numerarier“ (in Ehelosigkeit und in Opus-Dei-Zentren lebende Vollmitglieder) müssen einen Hochschulabschluss mitbringen.

Anfangs noch ein unbedeutender Laienbund in Spanien, musste das Opus Dei alsbald mit den Wirren des spanischen Bürgerkriegs fertig werden. Escrivá schlug sich auf der Flucht vor den Roten zu den Franco-Putschisten durch, und 1941 dann wurde er ein guter Freund vom Caudillo – dem spanischen „Führer“.

Mit dem Opus ging es nach Francos Sieg in Spanien bergauf – in den 60er-Jahren schließlich sollen zugleich bis zu zehn Opus-Dei-Mitglieder dem Regime als Minister gedient haben –, und seit Escrivás Umsiedlung nach Rom im Jahre 1946 konnte die Ausbreitung des Vereins über die ganze Welt beginnen. Mit nun selbst geweihten Priestern – die der „Priestergesellschaft vom heiligen Kreuz“ angehören –, mit eigenen Zentren, mit einem Netzwerk nahe stehender Stiftungen und Banken entwickelte sich das Opus zu einer ebenso reichen wie „mächtigen, sogar gefährlichen sektenartigen Organisation“, so der Jesuit James Martin.

Der Auftrag des „Gotteswerkes“: Bekämpfung nicht nur von Liberalismus und Kommunismus, sondern auch die Rettung der Kirche selbst, in der Escrivá Anfang der 70er-Jahre wegen Verirrungen wie der Befreiungstheologie bisweilen nur noch „einen Leichnam in stinkender Verwesung“ erblicken mochte. So zuwider dem Opus Dei die linken Priester in den südamerikanischen Slums waren, so wenig hatte die Organisation an Militärdiktaturen à la Pinochet auszusetzen.

Von seinen eigenen „Soldaten“ verlangte Escrivá vor allem Unterwerfung und Demut als wichtigstes Rüstzeug im harten Kampf um die rechte Kirche, sprich um den wachsenden Einfluss seiner Elitetruppe: „Vergiss nicht, was du bist …; ein Kehrrichteimer. Demütige dich: weißt du nicht, dass du ein Eimer für den Abfall bist“, heißt es in Escrivás „Der Weg“, jener Sammlung von 999 Maximen, die er seinen „Aposteln“ mit auf den Weg gab. Entsprechend beginnt auch heute noch der Tag eines Opus-Dei-Mitgliedes. Am frühen Morgen senkt er die Stirn auf den Fußboden und spricht: „Serviam – ich werde dienen.“

Escrivá selbst litt anscheinend nicht an übertriebener Demut. Es ist überliefert, dass er sich mit Abraham oder sogar gleich mit Jesus vergleichen ließ. Auch erwarb er, irdischen Ehren nicht abgeneigt, den Adelstitel eines „Marqués von Peralta“. Als Escrivá 1975 in Rom starb, war die Eindämmung des „Schmutzwassers, das die Kirche Gottes überflutet“ noch nicht ganz erledigt. Doch was sein Opus seitdem erreicht hat, das wird der heilige Josemaría am Sonntag ermessen können: wenn hunderttausende auf dem Petersplatz seine Kanonisierung bejubeln werden.