Noch steht das „Njet“ zum Irakfeldzug

Bei seinem Besuch in Moskau bekommt Blair nicht die Zustimmung Putins zu einem Krieg gegen Bagdad. Russland profitiert auch wirtschaftlich vom Status quo – und will für seine Stimme im UN-Sicherheitsrat weitere Zugeständnisse

MOSKAU taz ■ Wehmut erfasste die politische Klasse Russlands, als Großbritanniens Premier Tony Blair vergangene Woche als Sonderemissär Washingtons anreiste, um Präsident Wladimir Putin von der Notwendigkeit eines Feldzugs gegen den Irak zu überreden. Denn die politische Elite fährt nicht schlecht mit dem Status quo. Solange Washington Wert auf einen einvernehmlichen Beschluss des UN-Sicherheitsrates legt, ist Moskau nicht verloren. Schließlich ist es das letzte internationale Gremium, in dem das Wort der ehemaligen Supermacht noch zählt. Wie gerne würde die politische Elite des Landes den Amerikanern die Suppe mit einem kategorischen „Njet“ versalzen.

Mit dem Gerangel um den Irak fahre Russland gar nicht schlecht, meint der russische Ölmagnat Michail Chodorkowsky. Moskau komme der gegenwärtige Schwebezustand gar gelegen. Der Chef des zweitgrößten russischen Erdölproduzenten, Yukos, hat zunächst die wirtschaftlichen Interessen der heimischen Erdölindustrie im Auge. Solange die UN-Sanktionen Bagdads Fördermenge begrenzten, sei auch ein hoher Ölpreis garantiert. Damit wäre es nach einer amerikanischen Intervention vorbei.

Der Barrelpreis drohe nicht nur von 24 auf 12 US-Dollar zu fallen, fürchtet Chodorkowsky, er würde auch die unabhängigen Erdölproduzenten – unter ihnen Russland – in die Knie zwingen. Dass Washington bisher keine Garantie für einen stabilen Preis abgegeben habe, wertet der Russe bereits als ein Signal.

Im Gegensatz zur Mehrheit der politischen Elite, die den Westschwenk Wladimir Putins nicht mit vollziehen will, sieht der Kreml die Dinge pragmatisch. Noch wehrt er sich zwar gegen amerikanischen Druck. Die Partie wäre aber verloren, sollte ein verhandlungsmüdes Washington auf einen Sicherheitsratsbeschluss verzichten und im Alleingang losschlagen. Für Russland wäre das ein gewaltiger Prestigeverlust, Moskau hätte auch im Nahen Osten für immer ausgespielt.

Inzwischen denkt der Kreml ökonomisch und nicht mehr nur geopolitisch. Das erklärt, warum Ölkonzerne bei der strategischen Planung mit am Tisch sitzen. Wagit Alekperow, Chef des größten russischen Ölkonzerns Lukoil, gab sich letzte Woche schon zuversichtlich: Nach einem Sturz Husseins würden Russlands Interessen nicht übergangen, hätte die Regierung ihm versichert. Zurzeit bestreiten russische Firmen 40 Prozent der im Rahmen des UN-Programms „Oil for food“ zulässigen Geschäfte. Just zum Auftakt der Blair-Mission unterzeichnete die Firma Alfa-Eco, Ableger der größten Privatbank Alfa, mit 20 Mio. Barrel das bisher umfassendste Geschäft im Rahmen des UN-Programms.

Gleichwohl teilen russische Beobachter den Optimismus Alekperows nicht. Kann die russische Regierung allen Ernstes im Namen Washingtons Garantien geben? Selbst die dem Kreml nahe stehende Website strana.ru sieht russische Interessen eher in Gefahr. So hätten die USA und Großbritannien schon im Vorfeld versucht, russischen Firmen im Irak das Leben schwer zu machen. Wie würde es erst nach einem Krieg aussehen? Ebenfalls unklar: Wird sich der Nachfolger Saddam Husseins an Verträge des gestürzten Vorgängers gebunden fühlen?

Blairs Mission in Moskau verlief ergebnislos. Ein Indiz dafür, dass sich der Kreml seiner Sache noch sicher ist. Doch Garantien im Irak sind das eine, Moskau möchte indes mehr herausholen – Zugeständnisse im Handel mit den USA und freiere Hand im Umgang mit dem ungeliebten Nachbarn Georgien. Solange die Sicherheitsratsmitglieder Frankreich und China ihr Plazet verweigern, muss auch Moskau sich nicht beeilen. Und am Ende wird der Kreml ohnehin dem Drängen Washingtons nachgeben. Spannende Frage nur: Wird er wenigstens diesmal hinter den Kulissen etwas herausschlagen?

KLAUS-HELGE DONATH