Visionen für die Rettung der Welt

Buchmessern (5): „Futura Mundi“ war der Titel einer Konferenz, die erstmals in dieser Form die Buchmesse flankierte: 25 Redner aus 18 Ländern, verteilt auf 4 Podien in 12 Stunden. Doch keiner wollte für die Welt zuständig sein

Bevor Terre Thaemlitz sein DJ-Set begann, bevor er kurz nach Mitternacht eine dunkle Frankfurter Lounge-Bar mit dem teils flächigen, teils stacheligen Sound seiner neuesten Ambient-Collagen überzog, nahm er das Mikrofon in die Hand und redete. Er redete und redete, anders als die meisten seiner Kollegen aus dem elektroakustischen Fach, deren Sprachlosigkeit Programm ist. Er erzählte von ein paar Zumutungen nach dem 11. September, etwa von jenen Journalisten, die ihn ständig fragen, ob er als engagierter Künstler nicht heute Musik für den internationalen Frieden machen müsse. Terre Thaemlitz sprach mit einschmeichelnder Stimme, er trug den dezentesten Drag-Look, der sich denken lässt – zwei sanft herabhängende Zöpfe –, aber seine Antwort war schroff: Eine bessere Welt durch Musik? Bullshit.

Wenige Stunden später, am frühen Samstagmorgen, ging es in Frankfurt tatsächlich um den Frieden, die Rettung, zumindest um die Zukunft der Welt. „Futura Mundi“ lautete der Titel einer Konferenz, die erstmals in dieser Form die Buchmesse flankierte: 25 Redner aus 18 Ländern, verteilt auf vier Podien in 12 Stunden. Die Konferenz solle eine der größten ihrer Art weltweit werden, hieß es in den Eröffnungsreden; der Preis für ein „Premium Ticket“ – für den Platz in der ersten Publikumsreihe, für VIP-Lunch und VIP-Lounge – entsprach in etwa dem monatlichen Bafög-Höchstsatz. Kein Reigen also, sondern ein pompöser Ball der Großen Namen: Amos Oz, der Friedenspreisträger von 1992, warb zwar nicht für universale Liebe, wohl aber für mehr Fairness und Empfindsamkeit, Tariq Ali wetterte gegen die „wahre Absicht“ der USA, den gesamten Nahen Osten nach ihren Vorstellungen umzugestalten, Homi Bhabha forderte eine global citizenship für alle Menschen, Daniel Cohn-Bendit träumte von einem sozialökologischen Europa als Gegenmacht zu den neoliberalen USA, dagegen entlarvte Naomi Klein die EU als Erfüllungsgehilfin Amerikas und als Festung.

Das Mammutspektakel markierte das größte anzunehmende Gegenteil zu Terre Thaemlitz’ kleiner Nachtmusik – und doch schien gegen Ende eine Haltung auf, die derjenigen des Popavantgardisten durchaus verwandt schien: Da saßen vier Schriftsteller und sträubten sich gegen einige Zumutungen der Konferenz. Der Titel ihres Podiums trug ihnen auf, über „Literarische Visionen für eine geteilte Welt“ nachzudenken, und der belesene Moderator war dem Phantasma vom Schriftsteller als Seher tatsächlich nicht abgeneigt. Womöglich, so suggerierte Rob Riemens erste Frage, wäre die jüngste Geschichte in Afghanistan anders verlaufen, wenn die Taliban rechtzeitig die lebendigen Beschreibungen ihres Landes gelesen hätten, die der Romancier Atiq Rahimi verfasst hat. Der angesprochene Exilafghane gab sich keine Mühe, sein Lächeln zu verbergen. Hitler kannte Charlie Chaplins Film „Der große Diktator“, antwortete er, das habe ihn aber nicht daran gehindert, seine Verbrechen zu begehen.

Aber es muss doch Bücher geben, die in der Welt etwas bewirken, beharrte der Moderator. Mag sein, gab Yvonne Vera aus Simbabwe zurück, aber eigentlich wolle ein Autor mit Sprache etwas komponieren, jedenfalls nicht primär für die Lösungen politischer Probleme in der Dritten Welt zuständig gemacht werden – Assia Djebar, die mit dem Friedenspreis ausgezeichnete Algerierin, sah das genauso. Am charmantesten drückte der in Kanada lebende Inder Rohinton Mistry das Unbehagen der Diskutanten aus. „Ich habe eine sehr bescheidene Vorstellung vom Schriftsteller“, sagte er. Jeden Morgen an Visionen für die Rettung der Welt zu denken, das sei nichts für ihn. „Dann könnte ich keinen Buchstaben zu Papier bringen.“ RENÉ AGUIGAH