Wie böse ist Onkel Bert?

Es gibt Streit auf den Berliner Lesebühnen, nicht nur zwischen den Ankermännern Bert Papenfuß und Dr. Seltsam: Auslöser sind nationalbolschewistische Äußerungen eines sibirischen Punkmusikers

Letow ist Mitgliedder Nationalbolsche-wistischen Parteimit Ausweis-Nr. 3Dr. Seltsam bemerkte, Neofaschisten hätten auf Lesebühnen nichts verloren

von ANNE HAHN

Es drohte langweilig zu werden um das Kaffee Burger, seit Hochglanzmagazine und Szenereiseführer das Lokal um den in die Jahre gekommenen dichtenden Kneipenwirt Bert Papenfuß für sich entdeckten. Schwäbische Jurastudenten hotten mit russischen Zopfmädchen zu Wladimir Kaminers Russendisko, renommierte Verlage benutzen den hippen Ort für Buchvorstellungen, und Kulturmagazine verbraten bei Berichten über das literarische Berlin garantiert eine Kaffee-Burger-Nachtszene.

Trotzdem ist (noch) nicht alles touristenverdaulich im Programm des „Salons Brückenkopf“. Bert Papenfuß, als Turbine nordosteuropäischer Kulturvernetzung bekannt, erfreut oder verschreckt sein Publikum seit Jahren mit Protagonisten abgründiger Rockmusik. Zu seinen Lieblingskapellen gehört die sibirische Punkband „Graschdanskaja Oborona“. Mehr als einmal scheiterte der Plan, diese Truppe nach Berlin zu holen, an den Bedenken seiner jeweiligen Mitstreiter. Zuletzt weigerte sich der mitorganisierende Kulturstadtrat von Prenzlauer Berg, Burkhard Kleinert, die Band Jegor Letows beim „Tag der Abrechnung“ am 3. Oktober 2000 im Pratergarten auftreten zu lassen.

Woher die Bedenken? Die kurz „G.O.“ genannte Band (übersetzt „Zivilverteidigung“) machte seit 1993 schlechte Schlagzeilen. Zu Zeiten des Kalten Krieges war die aus Omsk stammende Band bekannt für ihre nihilistisch-anarchistischen Texte zu punkigen Gitarrenriffs. Zum Erschrecken vieler Fans bekannte sich Bandleader Jegor Letow Ende 1993 während einer „nonkonformistischen Aktion“ im Moskauer Gorki-Kulturhaus zu nationalpatriotischen Ideen und Ideologien der neuen Rechten. Letow hatte Anteil an der Gründung der Nationalbolschewistischen Partei Russlands, zu deren Mitglied Nr. 3 er zählt. In Interviews forderte Letow den „notfalls bewaffneten“ Kampf gegen den „amerikanisch-europäischen Zivilisationsschund“, der Russland überschwemme, oder rief dazu auf, schwule und lesbische MitbürgerInnen „gleich ins Gefängnis zu schicken, weil diese absurde Vorliebe den Traditionen unseres Volkes total fremd ist“.

Das Gründungstrio der NBP, Limonow, Dugin und Letow, ist inzwischen verschiedene Wege gegangen. Limonow befindet sich seit knapp zwei Jahren in Haft, Dugin übt eine Beraterfunktion in der Duma aus, Letow hat der NBP den Rücken gekehrt. Kürzlich erschien eine Platte G.O.s mit Texten von Bulat Okudschawa und Wladimir Wyssozki. Im November 2000 spielte Letow erstmals (relativ unbemerkt) in Berlin, eines seiner Gedichte wurde in der Zeitschrift Gegner (Papenfuß ist Gegner-Redakteur) abgedruckt, und ein Letow-Song ist auf der CD „Sodbrenner“, die das Kaffee Burger vertreibt, enthalten.

Im Juli dieses Jahres kam G.O. erstmals geschlossen nach Berlin. Auf Einladung des (räumlich wie geistig) dem Kaffee Burger direkt benachbarten „Dom Kultury“. Am 31. Juli sollte im Tacheles ihr erster Gig steigen. Ein Journalist der Welt wusste besser als die Organisatoren des Tacheles selbst, was dort auf sie zukäme. In seinem „Böse Onkel Wanjas: Russlands faschistische Punks“ überschriebenen Artikel weist Oliver Heilwagen auf die Hintergründe um die NBP hin. Nun trat die Antifa in Aktion, ein Autor der Website Indymedia rief zum Boykott des Konzertes auf. Nach Verständigung mit den Betreibern des Cafés Zapata im Tacheles wurde der Termin abgesagt. Der Mudd Club sprang ein, in dessen Räumen mittwochabends die Lesebühne der Surfpoeten beheimatet ist. Das Konzert lief ohne bemerkenswerte Störungen ab – lediglich Letows Freundin bekam ein Flasche an den Kopf geworfen –, und Jegor Letow trat am folgenden Montag solo im Kaffee Burger auf.

Ein zufällig anwesender Journalist und Lesebühnenautor (club existentialiste) erfuhr durch Flugblätter der spärlich anwesenden Antifas von Letows politischem Desaster. Er interviewte Bert Papenfuß zu den Vorwürfen um Letows Gesinnung und den später dazugetretenen Wladimir Kaminer. Unter dem Titel „Wer im Berliner Kaffee Burger so alles Konzerte gibt“ veröffentlichte Markus M. Liske die Statements der beiden Letow-Verteidiger in der jungen Welt. Papenfuß erwiderte im selben Organ sechs Tage später mit einem „Gegen gute Geister“ überschriebenen Artikel. Am Sonntag nach Letows Soloauftritt verlas Dr. Seltsam in seinem Lesebühnen-Frühschoppen Liskes Artikel auszugsweise und merkte an, dass Neofaschisten nichts auf Lesebühnen verloren hätten. Danach wurde ihm von Mitgliedern anderer Berliner Lesebühnen eine Entschuldigung abverlangt und Ausschluss angedroht. Die junge Welt organisierte angesichts des offenbaren Klärungsbedarfs eine Veranstaltung im Haus der Demokratie, die am vergangenen Freitag unter dem Motto „Nazis rein? Russische ‚Nationalbolschewisten‘ auf Berliner Lesebühnen“ stattfand.

Von den geladenen Gästen erscheinen als Gegner-Redakteure Bert Papenfuß und Andreas Hansen, als Vertreter der jungen Welt Markus M. Liske und Christof Meueler (Feuilleton), als Nationalbolschewismusexperte Markus Mathyl, als Expertin für russische Literatur Cornelia Köster und Dr. Seltsam, Kabarettist. Es fehlen aus verschiedensten Gründen Wladimir Kaminer, sein Vertreter Helmut Höge und der Politredakteur der Jungen Welt.

Dr. Seltsam und Markus Mathyl halten jeweils längere Vorträge, um die Hintergründe zu beleuchten. Dr. Seltsam erklärt die Entstehung der nationalbolschewistischen Bewegung, die ihre Wurzeln in der frühen Abgrenzung der KPD gegen rechtsradikale Rebellen gehabt habe, hinterfragt des Weiteren das Modell „unpolitische Kunst“ und stellt Horst Mahler, Bernd Rabehl, Knut Hamsun, Götz Aly und Eduard Limonow in einer Aufzählung von Punkt 1 bis 5 als „Rechte Leute von links“ dar. Nachdem auch Autor Liske seinen Artikel verlesen hat und die (aus unvollständigen Zitaten gezimmerten) Vorwürfe gegen Wladimir Kaminer erhärtet, spricht Bert Papenfuß. Nach seiner Verantwortung für den Soloauftritt gefragt, sagt er: „Das ist grober Müll, na gut, das ist Nazikrempel, ich weiß nicht, was er ist, er ist radikal, vielleicht auch Nazi …“ Liske erklärt wenig später die Texte Letows für schön, aber Gottfried-Benn-Gedichte seien auch schön … Nach weiteren Vorträgen, einer Pause und einer Prügelei gesteht man sich gegenseitig ein, dass die Kompetenz für eine Diskussion in dieser Runde fehle, Letow eigentlich nur seine 80er-Jahre-Songs singe und sich bei den Lesebühnen wohl alles ums Geld drehe. Konfusion der Diskussion. Nach der Zwischenfrage Michael Steins (Reformbühne Heim und Welt), ob man mit Nazis Sex haben dürfte, schlittert das Niveau der Redebeiträge gefährlich abwärts. Nach vierstündiger Debatte vor 30 bis 45 Leuten geht der Abend ergebnislos zu Ende.