Die Goldhagen-Variationen

Im Rahmen der „Berliner Lektionen“ stellte der US-Politologe Daniel Jonah Goldhagen sein neues Buch zur katholischen Kirche im NS-Staat vor

Seit dem Erscheinen seines Bestsellers „Hitlers willige Vollstrecker“ ist es hierzulande ein schöner Brauch geworden, Daniel Jonah Goldhagen für alles Mögliche in die Haftung zu nehmen. So warf man ihm vor, die These von der Kollektivschuld der Deutschen beschädige durch ihre schlichte Zuspitzung und mangelnde empirische Unterfütterung die gesamte Historikerzunft. „Unwissenschaftlichkeit“ war noch das harmloseste Verdikt. Ebenso befürchtete man neue antijüdische Ressentiments und eine Verschlechterung des deutsch-israelischen Verhältnisses, ungeachtet der Tatsache, dass der Mann amerikanischer Staatsbürger ist.

Dass Goldhagen nun nachlegt und in seinem neuen Buch der katholischen Kirche eine vorbereitende und unterstützende Rolle beim „eliminatorischen Antisemitismus“ der Nazis vorwirft, bringt die Gegner von damals gleich wieder auf die Barrikaden. Die einhellig negative Kritik in den deutschen Feuilletons wies Goldhagen sogleich einen groben Recherchepatzer (fälschlicherweise wurde Kardinal Faulhaber auf einem Bild identifiziert, das einen Geistlichen bei einer NS-Kundgebung zeigt) nach, mokierte sich aber mindestens genauso über den moralischen Eifer, mit dem Goldhagen Europas christliche Autoritäten zur Revision der eigenen Geschichte und zur Wiedergutmachung gegenüber dem jüdischen Volk auffordert.

Vielleicht werden einige am Sonntag das Renaissance-Theater, wo Goldhagen im Rahmen der „Berliner Lektionen“ seine Thesen diskutierte, schon mit dem Gedanken betreten haben, ihm auch noch die Urheberschaft für den ekligen Schneeregen, das Pfingstwunder im Oktober, anzuhängen. Anders könnte man so manche aggressive Publikumsreaktion und die gereizte Atmosphäre auf dem Podium nicht erklären. Denn Goldhagen trug eigentlich nur Altbekanntes vor. So müsse sich die katholische Kirche endlich stärker zu ihrer Mitverantwortung am NS-Terror bekennen, als dies beispielsweise in der wolkigen Erklärung des Papstes zum Millennium der Fall gewesen sei. Eine neue „Taxonomie der Schuld“ und konkrete Schritte – wie eine texthygienische Bearbeitung des Neuen Testaments – seien notwendig, um die Juden vom ewigen Makel zu befreien, sie seien „der ontologische Feind Gottes“. Hans Joachim Meyer, Präsident des Zentralkomitees der Katholiken Deutschlands, konterte, Goldhagen sei über den Stand des innerkirchlichen Klärungsprozesses nicht ausreichend informiert. Vor allem bei der Bewertung von Papst Pius XII. habe er „wichtige Dokumente unterschlagen“. Darum sei sein Buch „zutiefst unredlich und nicht einmal als Streitschrift akzeptabel“. Zudem sei die Frage, ob eine entschiedenere Positionierung des diplomatisch lavierenden Kirchenoberhaupts gegenüber der NS-Rassenpolitik den Lauf der Geschichte hätte verändern können, rein hypothetisch und daher nicht zu beantworten.

Während Meyer also Goldhagens „agitatorisches Pamphlet“ in Bausch und Bogen ablehnte, sprang ihm Julius Schoeps, Leiter des Moses Mendelssohn Zentrums (Potsdam), unterstützend zur Seite. Goldhagen sei es zu verdanken, dass die „symbiotische Beziehung“ zwischen Nationalsozialismus und Christentum, gerade in der Person Hitlers, endlich breiter diskutierbar gemacht und der „asymmetrische Blickwinkel“ aufgegeben werde. Nun hätte man „eine Debatte, wie sie so in Deutschland noch nicht geführt worden ist“.

Georg Denzler, Kirchenhistoriker aus Bamberg und notorischer „Nestbeschmutzer“, flüchtete sich nur in lauwarme Selbstkritik. Natürlich sei zu beklagen, „dass die Kirche angesichts der Shoah geschwiegen“ habe. Gleichwohl beharrte er auf einer begrifflichen Trennung zwischen biologisch-völkischem Antisemitismus und seiner religiösen Variante. Als er aber anmahnte, die antijüdischen Restbestände im Klerus „auszurotten“, unterlief ihm ein bemerkenswerter rhetorischer Lapsus, der für die gesamte Veranstaltung den wohl traurigen Höhepunkt darstellte. Trotzdem: Eine gelungene Publicity für den Siedler Verlag, ohne Frage. Aber keine gute Werbung für die Firma, die das Kreuz in ihrem Briefkopf trägt. JAN ENGELMANN