Wilde Fluchtgeschichte

Wie eine Gemeinschaftsarbeit von Lynch und Gaultier: Katsuhito Ishiis „Shark Skin Man & Peach Hip Girl“

Sind in überfüllten japanischen Vorortzügen adrett gekleidete Männer mittleren Alters in telefonbuchdicke Comics vertieft, dann lesen sie Mangas. Längst haben sich die fernöstlichen Sex&Crime-Comics auch auf dem europäischem Markt etabliert, wo sie beispielsweise für den englischen Medienunternehmer Chris Backwell „die Lücke zwischen Musik und Computerspielen füllen“. Die hiesige Zielgruppe ist also jünger, das Geschäft mit den rasenden Bildergeschichten aber ebenso lukrativ, was sich auch daran ablesen lässt, dass immer mehr Manga-Verfilmungen auf den Markt kommen. Auch Shark Skin Man & Peach Hip Girl (1998), das Spielfilmdebüt des Werbespotregisseurs Katsuhito Ishii, beruht auf einem Manga.

Samehada (Asano Tadanobu), den Shark Skin Man und Toshiko (Yoshimata Sie), das Peach Hip Girl führt ein Zufall zusammen. Beide befinden sich auf der Flucht. Er vor den Berufskillern der Yakuza, sie vor ihrem Onkel Sonezaki, einem psychopathischen Hotel-Empfangschef, der sie sexuell belästigt. Den ersten Toten gibt es zwar schon nach drei Minuten und sieben Sekunden. Statt eiskaltem Gemetzel oder Psycho regiert bei Ishii aber der Slapstick.

Es pflastern noch viele weitere Leichen den Weg des Pärchens, dessen wilde Fluchtgeschichte sich David Lynch und Jean Paul Gaultier zusammen ausgemalt haben könnten. Shark Skin Man & Peach Hip Girl ist halb Action-Abenteuer, halb Gangsterkomödie. Die Handlungsstränge sind sehr lose miteinander verknüpft, die Darsteller in gemeine Kostüme gekleidet und irre komisch anzusehen. Untermalt von peinsamer Surfmusik, hetzt ein durchgeknalltes Yakuza-Team durch japanische Wald- und Wiesenlandschaften, Samehada und Toshiko immer auf den Fersen.

Bestimmt hat man schon einmal einen Killer mit Wurfmessergürtel auf der Leinwand gesehen, aber einen Killer mit Wurfmessergürtel, der seinen Bodyguard dazu anhält, Werbetafeln von Vitamindrinks der Marke Omuru Ken zu sammeln? Auch der russisches Roulette spielende Blondschopf mit dem besonders ausgeprägten Geruchssinn und die kettenrauchende japanische R&B-Diva im Blaufuchs haben einige schattige Tricks auf Lager. Man unterhält sich durch Funkgeräte und faltet blutige Taschentücher kunstvoll zusammen.

Überhaupt hat Regisseur Ishii ein Faible für wunderbare Kulissen: Die Gangster unterhalten sich seelenruhig vor einem ausrangierten Jeep-Fuhrpark. Ein Fast-Shootout auf einer Autobahntoilette endet damit, dass der Bedroher vom Bedrohten in eine Toilettenbox eingesperrt wird und nur wieder herauskommen darf, wenn er alle Strophen eines japanischen Volksliedes abgesungen hat.

Die obligatorische Sexszene dürfte für geschulte Augen mit vier Sekunden Dauer zu flüchtig sein. Irgendwie gelingt es Shark Skin Man & Peach Hip Girl, sich trotz zahlreicher Männerfantasien selbst immer wieder auf den Kopf zu stellen. Es bleibt indes nicht lange Zeit zum Nachdenken, denn wie im richtigen Manga, wo es nach dem Umblättern der Seite schnell in eine andere Welt geht, schickt Perverso-Onkel Sonezaki noch einen zwergenwüchsigen Privatdetektiv in Evisu-Jeans mit Nachtsichtgerät.

Die Kritik war unentschieden. Geiler Trash für Freunde von Tarrantino, Takeshi Kitano und Tsui Hark, jubelten die einen; müder Abklatsch von japanischen Filmklischees, schimpften die anderen. Wir halten es lieber mit dem Regisseur, der folgenden bemerkenswerten Satz gesagt hat: „Es geht hier nicht um irgendwelche japanischen Artefakte, schaut euch lieber die Idioten auf der Leinwand an!“ Julian Weber

täglich bis 30.10., 22.30 Uhr, 3001