Im Web nur Schrott

Joseph Weizenbaums Aufsätze über die Illusionen der Computerkultur sind endlich auch als Buch erschienen

Seit die Dot.coms wie die Fliegen sterben, nimmt das Internet auch ökonomisch wieder Normalmaß an. Zur richtigen Zeit sind deshalb bislang schwer auffindbare Aufsätze und Reden von Joseph Weizenbaum erschienen. Der Pionier der Informatik, 1923 in Berlin geboren, von Verfolgung bedroht, mit seiner Familie 1936 in die USA emigriert, warnt seit langem vor typischen Illusionen der letzten Jahre.

Zu einem der schärfsten Kritiker der Computerkultur wurde Weizenbaum, als seine eigenen Mitarbeiter am Massachussetts Institute of Technology auf sein heute legendäres Programm Eliza hereinfielen. Eliza imitierte mit ziemlich simplen Zufallsalgorithmen typische Dialoge zwischen Patienten und Psychotherapeuten. Die Antworten des Programms sind allesamt bedeutungslos, dennoch hatten manche Mitarbeiter das Gefühl, mit einem menschlichen Partner zu reden. Die Schlüsse aus diesem verheerenden Erfolg seiner Arbeit, die Weizenbaum schon in seinem Buch „Die Macht der Computer und die Ohnmacht der Vernunft“ zog, sind ebenso radikal wie kenntnisreich auf intimes Wissen über diese Technik und die maßgeblichen Forschungsprogramme der USA gestützt. Seine Aufsätze konfrontieren eine dem Machbarkeitswahn verfallene Informatik mit den Maximen einer an der kritischen Theorie geschulten Haltung. Gewissermaßen der Generalbass der jetzt vorgelegten Sammlung sind der Golfkrieg von 1991, die Erfahrungen am MIT und anderen amerikanischen Forschungsstätten und die Auseinandersetzung mit den Forschungen zur so genannten künstlichen Intelligenz, für die vor allem der Name Hans Moravec steht.

Schon der landläufige Gebrauch des Begriffs „Information“, der nicht zuletzt das Schlagwort der „Informationsgesellschaft“ prägt, beruht für Weizenbaum auf einem Irrtum. Eine Information gewinnen wir nämlich erst dann, wenn wir die Bits und Signale aus dem Computer in einer Interpretation miteinander in Beziehung setzen, die nur von Menschen geleistet werden kann.

Daten des New Yorker Telefonbuchs zum Beispiel werden erst dann zu einer Information, wenn wir etwa feststellen, dass die auf „ian“ endenden armenische Familiennamen mit Telefonnummern gekoppelt sind, die häufig auf den gleichen Stadtteil hinweisen.

Mit diesem Schlüsselargument hält Weizenbaum Moravec und anderen Vertretern der künstlichen Intelligenz entgegen, dass Sprache immer an konkrete Lebensgeschichte und Leiberfahrung gebunden sei. „Die bloße Idee einer linguistischen Botschaft außerhalb jedes Kontextes und ohne jede Absicht ist eine Absurdität“, weist Weizenbaum jeden Versuch zurück, dem Menschen gleichwertige oder sogar überlegene Maschinen zu konstruieren.

Ihr wahrer Zweck aber lässt sich jedoch an „Eye Tracking“-Systemen erkennen oder an dem Vorhaben „Autonomous Land Vehicle“. Beide sind vom Militär geförderte Forschungen, deren Logik Weizenbaum nun sehr gut nachvollziehen kann: Unter der Vorgabe, schneller sein zu müssen als der Feind, sollen Systeme geschaffen werden, die den Menschen als voraussehbaren Schwachpunkt eliminieren und von ihm bislang übernommene Sinnes- und Kontrollleistungen künstlich nachahmen.

Die Konsequenz davon aber ist, dass Menschen – nicht nur im militärischen Bereich – immer weniger in der Lage sind, sich auch für mittelbar von ihnen ausgelöste Handlungen verantwortlich zu fühlen. Zu Recht haben für Weizenbaum viele Zeitgenossen daher das Gefühl, angesichts der komplexen Computerwelt in jeder Hinsicht ohnmächtig und wirkungslos zu bleiben.

Mut und Zivilcourage sind notwendig, solchen Tendenzen zu widerstehen, so wird Weizenbaum nicht müde zu fordern, aus dem angeblich demokratischen Internet jedefalls könne schon gar keine Hilfe kommen. Neben ein paar unbestreitbaren Kommunikationsleistungen sieht Weizenbaum dort vor allen Dingen „Schrott“. Dazu gehöre inzwischen auch eine Wissenschaftsunkultur, die Papiere am Fließband entstehen lasse, denen jede Substanz fehle.

GEORG JÜNGER

georg-juenger@netcologne.de Joseph Weizenbaum: „Computermacht und Gesellschaft“. Hrsg. von Gunna Wendt und Franz Klug, Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2002, 10 € „Die Macht der Computer und die Ohnmacht der Vernunft“, Suhrkamp, Frankfurt am Main 2001, 2. Aufl., 13,50 €