Für meinen Geldbeutel sehe ich blau

Geiz ist geil! – behauptet der aktuelle Werbespot einer Multimediakette. Das Geldausgeben ist in Verruf geraten – schreiben junge Schriftstellerinnen. Statt Konsumfreudigkeit zu propagieren, entdeckt die werbetreibende Branche derzeit den Spaß an der Sparsamkeit. Es ist eben Rezession, Baby

„Mein Haus, meine Frau, mein Auto“: Das war mal. Jetzt wird das Erreichte verteidigt

von DIRK KNIPPHALS

Der bemerkenswerteste Werbespot dieser kalten Herbstsaison beginnt mit einem hellen Pixelrauschen. Daraus formen sich blitzschnell Strukturen, die sich zu einer animierten Frauenfigur verdichten. Im nächsten Augenblick, das Auge kann kaum folgen, hat man auch schon eine reale Frau vor sich. Sie wendet sich an den Betrachter, um im schönsten Kontrast zur Komplexität des Anfangs die Botschaft der beworbenen Multimediakette namens Saturn eher in die Welt zu brüllen, als bloß mitzuteilen. „Geiz ist geil“, schreit die aus digitalem Schaum Geborene. Dann bricht sie in hysterisches Gelächter aus. Danach geht der Spot in die normale Anpreisung preisgünstiger Computer über.

„Knackig“, sagt man zu einem solchen Werbespruch wohl, wenn man ihn als Agentur – die Hamburger Jung van Matt waren dabei – dem Kunden schmackhaft machen will. Als irgendwie dann doch auch dem Feinsinn offener Fernsehzuschauer erschrickt man allerdings erst einmal ein bisschen; ziemlich grell das Ganze. Doch das legt sich. Festhalten lässt sich schließlich folgender Eindruck: Schon irgendwie großartig, wie direkt hier der Subtext sehr vieler Werbebotschaften, die einen sonst so erreichen, angegangen wird. Bekanntlich behauptet mindestens die Hälfte von ihnen, dass man durch Konsumieren Geld sparen und nicht etwa ausgeben kann. Über nichts anderes als diese klammheimliche Freude am Schnippchenschlagen jubelt die den Geiz propagierende Frau. Ist sie nicht so etwas wie die böse kleine Schwester derjenigen hippen Menschen, die auf dem allerletzten Drücker kurz vor der „Tagesschau“ ständig für ihre Zukunft blau sehen? Zumindest agiert sie offensiv aus, was die Spots für die Riester-Rente implizit voraussetzen: dass man auch auf die Cent-Beträge hinter dem Komma achten soll. Wie hieß das früher? Kleinvieh macht auch Mist.

Aber warum fällt einen gerade dieser Spot so auf? Zur Erklärung kann man etwas heranziehen, was man das Opeltheorem nennen könnte. Es besteht darin, dass einen von den vielen geradezu hanebüchenen Behauptungen, die die werbetreibende Branche tagtäglich aufstellt – und was wäre hanebüchener, als dass Geiz geil ist? –, nur diejenigen erreichen, die man tatsächlich hören will. Dass Opel Autos baut, von denen man träumen kann, will man selbst dann nicht glauben, wenn die Firma es tatsächlich irgendwann einmal tun sollte. Dass die Riester-Rente den Hippnessfaktor für sich ins Feld führen kann, glaubt man – selbst wenn man die Sache an sich ganz sinnvoll findet – auch nicht. Aber die Umwertung des Geizes als coole Eigenschaft, das bleibt hängen.

Den hier wirksamen beglaubigenden Hintergrund bilden natürlich die aktuellen Wirtschaftsdaten; die Kollegen vom Wirtschaftsteil der Süddeutschen bringen den Spot gleich in einen Zusammenhang mit ihnen: „Die Angst der Bürger vor Rezession und Arbeitslosigkeit sprechen Einzelhändler an und münzen ihn in eine positive Botschaft um: Geiz ist geil!“ Das leuchtet deshalb sofort ein, weil schließlich inzwischen jeder etwas zum allgemeinen Krisengerede beitragen kann – unsereiner etwa, dass er neulich auf einer Geburtstagsfeier war und dort gleich auf ein gutes Dutzend gekündigter Kulturredakteure stieß. Und dass Jungschriftstellern selbst zu Rilke nur am Sparthema orientierte Kalauer einfallen: Wer jetzt kein Haus hat, der kriegt auch keine Eigenheimzulage mehr.

Nun kommt aber noch etwas hinzu: Der Spot hat nicht nur eine positive, sondern auch eine überaus aggressive Botschaft. Er hätte schließlich auch charmant auf postmaterialistische Werte setzen können; das tut er aber mitnichten. Das Ganze hat etwas Kämpferisches und auch etwas von Rache.

Das erst ist wirklich das Spannende an ihm. Mit derselben inszenierten Brutalität, mit der noch vor zwei Jahren das Geldverdienen etwa am neuen Markt gepusht wurde – „Mein Haus, meine Frau, mein Auto“ –, geht es jetzt darum, das Erreichte zu verteidigen. Während die Haffas in München vor Gericht stehen, retten ihre einstigen Fans – während sie auf den Titelbildern als „Generation arbeitslos“ auftauchen – gerade, was zu retten ist: ihr Erspartes. Dass das Geld nicht mehr unbedingt für einen arbeitet, hat man verstanden; nun geht es darum, es zumindest zu behalten. Und siehe: Anstatt sich über diese Situation zu beklagen, will der Spot auf ihr surfen. Geld weg. Spaß bleibt.

Umwertung aller materiellen Werte? Na ja. Aber etwas scheint sich zu drehen. Sparsam sein, das war früher ein Thema für Kriegsteilnehmer. Die nachwachsenden Generationen hatten andere Probleme, die viel mit der Verwaltung des Überflusses zu tun hatten. Nun ist das Thema Sparsamkeit offensichtlich, in lifestylehafter Verkleidung, zurückgekommen. Nicht nur für Multimediakettenbesucher. „Geldausgeben war mal ein nettes Hobby“, schreibt die Schriftstellerin Juli Zeh im aktuellen Spiegel.

Nun sei es allerdings, fügt sie hinzu, „dermaßen in Verruf geraten“. Meint Saturn auch. Geiz ist geil.