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Die Europäer treffen in Brüssel einen ungnädigen Putin. Leise Töne beim Thema Tschetschenien sind angesagt, um den Partner nicht zu ärgern

aus Brüssel DANIELA WEINGÄRTNER
aus Moskau KLAUS-HELGE DONATH

Die Pressecontainer, Kabeltrommeln und Zelte für die Eingangskontrollen waren nach dem Brüssel-Gipfel Ende Oktober kaum verstaut, da wurden sie am Wochenende schon wieder ausgepackt. Denn der heutige Gipfel zwischen der EU und Russland, ursprünglich in Kopenhagen geplant, musste nach diplomatischen Turbulenzen auf neutrales Terrain verlegt werden. Andernfalls wäre die russische Delegation gar nicht erst angereist.

Putins Groll gilt dem Königreich Dänemark, weil es unmittelbar nach der Geiselnahme von Moskau nicht bereit war, einen Kongress von Exiltschetschenen in Kopenhagen zu verbieten. Auf diesem Kongress trat auch Achmed Sakajew auf, Emissär des tschetschenischen Präsidenten Aslan Maschadow. Er wurde schließlich von der dänischen Polizei in Untersuchungshaft genommen, weil Russland ihn für einen Drahtzieher der Geiselnahme hält. Es fordert vehement seine Auslieferung. Dänemark sträubt sich.

Seit dem Schulterschluss mit Washington in der Folge des 11. September glaubt Moskau, bestimmen zu können, wer Terrorist ist und wer nicht. Dazu gehört seit der Moskauer Geiselnahme eben auch Sakajews Chef Aslan Maschadow – auch wenn der Kreml Beweise ebenso schuldig bleibt wie eine plausible Antwort auf die Frage, warum er noch vor Jahresfrist Gespräche mit ihm führte.

Der Zentralrat der Kremlpartei „Jedinnaja Rossija“ schickte eilig Hundertschaften empörter Demonstranten vor die dänische Botschaft in Moskau. Auf Plakaten und in Sprechchören protestieren sie gegen die Komplizenschaft der Nordeuropäer mit al-Qaida. Unterdessen verliest das Fernsehen den Boykottaufruf gegen dänische Waren. Allen voran gegen Lego, gefolgt von den Hot Dogs der skandinavischen Fastfoodkette „Steffie“, deren Imbissstände an jeder zweiten Straßenecke in Moskau zu finden sind. Auch das Tuborg-Bier steht auf der Liste. Würde Bier in Russland zu den alkoholischen Getränken gerechnet, wäre es so weit sicher nicht gekommen.

Kurzum, der Kreml schäumt – ein denkbar ungünstiger Zeitpunkt für ein Gipfeltreffen Putins mit seinen Gegenspielern in der EU. Dass sie über ein diplomatisches Minenfeld gehen, war den Sprechern von Außenkommissar Patten, dem Ratsvertreter Solana und der dänischen Ratspräsidentschaft am Freitag deutlich anzumerken. Die Tagesordnung dieses Treffens sei „eine Gratwanderung zwischen verstärkter wirtschaftlicher Zusammenarbeit und politisch-strategischen Fragen“, formulierte es der dänische Sprecher.

Ohne Aussicht auf einen Kompromiss in der Kaliningrad-Frage (siehe Kasten) hätte die russische Delegation das Treffen platzen lassen, verriet der Sprecher von EU-Außenkommissar Chris Patten. Allerdings sei die EU zu weiteren Zugeständnissen nicht bereit: „Die Alternative zu diesem Deal ist überhaupt kein Deal“, betonte er. Die dänische Regierung erinnerte daran, dass auch die Europäer ein starkes Interesse daran hätten, diesen Streit aus der Welt zu schaffen. Parallel werde ein Rücknahmeabkommen für Flüchtlinge mit Russland ausgehandelt, das Mitte nächsten Jahres in Kraft treten solle.

Auch bei den übrigen Punkten der politischen Tagesordnung ist die EU bemüht, die positiven Aspekte herauszustellen: Vom 1. Januar an will Russland Polizisten zur EU-Friedensmission in Bosnien-Herzegowina beisteuern. Im Januar soll eine gemeinsame Übung von russischen Soldaten mit Militärs der künftigen EU-Kriseninterventionstruppe stattfinden. Ein Aktionsplan gegen den Terrorismus, der verbesserten Informationsaustausch, Zusammenarbeit beim Austrocknen der Finanzquellen von Terroristen und engere Kooperation mit Europol beinhaltet, soll heute ebenfalls beschlossen werden.

Bei der Tschetschenienfrage allerdings sind die Europäer derzeit auffallend wortkarg. „Bilaterale Probleme stehen nicht auf der Tagesordnung“, erklärte der dänische Sprecher knapp. Die EU werde natürlich ihre Vorbehalte bezüglich der humanitären Situation im Kaukasus zum Ausdruck bringen.

Als einzige EU-Institution verweigert sich das Europäische Parlament dieser großen Koalition um jeden Preis. Sie hat tschetschenische Oppositionelle für heute nach Brüssel eingeladen und will mit einer Anhörung und einer Demonstration vor dem Ratsgebäude dafür sorgen, dass der Terror Russlands gegen das tschetschenische Volk nicht in Vergessenheit gerät (s. Interview).

Man darf gespannt sein, wie Putin auf diese Konfrontation reagieren wird. Natürlich braucht er die EU wirtschaftlich. Als Zuckerbrot hat der für Energiefragen zuständige Brüsseler Generaldirektor François Lamoureux letzte Woche in Moskau ein Technologiezentrum eröffnet, das die Zusammenarbeit im Energiesektor fördern soll. Am Freitag erfreute die EU-Kommission den Kreml mit der Nachricht, Russland nun als echte Marktwirtschaft anzuerkennen. Das könnte sich bei den Aufnahmeverhandlungen in die Welthandelsorganisation günstig auswirken.

Politisch aber verlässt sich Putin lieber auf Washington. Die Einstellung derer, die auf Konsens, Menschenrechte und Dialog setzen, wird von den Russen als Schwäche interpretiert. Sie fühlen sich bei den Amerikanern und deren dehnbarer Haltung gegenüber Recht und Unrecht derzeit besser aufgehoben.