Jagdszenen aus St. Pauli

Frierend und durchnässt in die Zelle gesperrt: Der Erfahrungsbericht einer jungen Hamburgerin über die Ereignisse in der Nacht von Montag auf Dienstag

„Die Polizei setzte 700 Beamte ein, nahm 269 Randalierer in Gewahrsam“ meldete gestern die Nachrichtenagentur dpa. Ich war eine von diesen 269 Personen – randaliert habe ich allerdings nicht. Und musste trotzdem die Nacht von Montag auf Dienstag im Gefängnis verbringen.

Die Soli-Demo für Bambule und gegen die Senatspolitik beginnt nach dem Spiel des FC St. Pauli am Montagabend an der U-Bahn Feldstraße. Es stehen wohl gut 500 Menschen auf der Straße, einer meldet eine Spontandemo an. In der Talstraße – der Zug ist mittlerweile auf etwa 1000 Leute angewachsen – versperren Polizisten den Weg zur Reeperbahn. Wir entschließen uns zu einem Sit-In. Etwa 200 Leute setzen sich auf die Straße. Vor einer Reihe von Beamten, die Helme und Schlagstöcke tragen, gibt es Sprechchöre wie: „Wir sind friedlich, was seid ihr?“

Die Polizei löst die Demonstration auf. Wir erheben uns. In einer Seitenstraße treffen wir auf Wasserwerfer. Die Polizei misst der Situation offenbar eine Dramatik zu, die nicht nur mir unverständlich ist. Ich blicke in ratlose und ungläubige Gesichter, als der Wasserwerfer ohne weitere Vorwarnung die Menschenmenge wegzuspülen versucht. Von einem angeblichen Gewaltpotenzial kann ich zu diesem Zeitpunkt nichts erkennen, die Situation wirkt irreal.

Eine Straße weiter wird es ernst: Etwa 150 Personen – eine davon bin ich – werden von Polizeiketten eingeschlossen. Aggressionen? Ich habe keine gespürt und keinen Grund gesehen, die Menge festzuhalten. Die Laune ist gut, eine Anwohnerin reicht an einem Seilzug Chips aus dem Fenster. „Achtung, Achtung, hier spricht die Polizei“, schallt es aus dem Einsatzfahrzeug, welches Scheinwerfer und Wasserrohre auf uns gerichtet hält. „Die Personengruppe, welche sich an der Ecke Hein-Hoyer-Straße befindet, ist hiermit in Gewahrsam genommen und wird demnächst einzeln abtransportiert.“

Dass ich eine dieser Personen bin, wird mir erst beim Blick auf ein Straßenschild klar. Kalt und nass stehen wir etwa eine Stunde rum. In einem HVV-Bus werden schließlich unsere Sachen einkassiert und unsere Hände gefesselt. Frierend werden wir im Bus durch ganz Hamburg gefahren. Wir landen zu etwa acht in einem Kommissariat in Rahlstedt. Mehrfach fragen wir, wessen wir beschuldigt werden. Rechtliche Belehrungen gibt es auch auf Anfrage nicht. Was uns vorgeworfen wird, bleibt geheim.

In den Dienststellen selber werden zumindest meiner Gruppe sämtliche rechtlich zustehenden Telefonate verweigert – mit Verweis auf „später oder der Kollege dort“. Widerspruch wird weder entgegengenommen noch gar protokolliert. Auf die Aussage einer Mitgefangenen, es sei unser Recht, zwei erfolgreiche Telefonate zu führen, gibt der Beamte Nr. 7666 die Auskunft: „Ihr habt hier gar keine Rechte.“

Als die Frühschicht kommt, gibt es zumindest Wasser. Gegen 7 Uhr früh darf ich gehen. „Hier ist ihre Strafverfahrensnummer, wir hören voneinander.“ Gelächter. anna kesselschmied*

(*Name geändert)