zwischen den rillen
: Robbie Williams will endlich die USA erobern

Ego im Sturzflug

Nach einjähriger Pause hat Robbie Williams wieder ein neues Album aufgenommen. Es heißt „Escapology“ und weist damit auf die bislang weitgehend unbekannte Wissenschaft des Flüchtens hin. Vielleicht verweist der Titel aber auch auf die hohe Kunst der Entfesselung. Dazu passt, dass Williams auf dem Cover in schwindelnder Höhe vielsagend an einem Drahtseil hängt, unter ihm die Skyline von Los Angeles.

Als Williams 1999 sein erstes reguläres US-Album veröffentlichte, gab er ihm mit „The Ego Has Landed“ einen durchaus selbstbewussten Titel. Doch dass er drei Jahre danach offenbar noch immer in der Luft hängt, bedeutet wohl, dass es mit der Landung in den Staaten nicht so recht geklappt hat. Insgesamt 700.000 verkaufte Tonträger zwischen San Francisco und New York gegenüber den weltweit millionenfach verkauften Alben sprechen da eine deutliche Sprache.

Dieses Mal soll es aber klappen. Angeblich hat Williams den Vertrag bei seiner Plattenfirma EMI nur deshalb verlängert, weil diese ihm versprach, sich speziell um seinen Durchbruch in Amerika zu kümmern. Und angeblich will die EMI ihm die stattliche Vertragssumme von rund 80 Millionen Pfund nur deswegen zahlen, weil sie fest an seinen Marktwert in Übersee glaubt. Für beide steht eine Menge auf dem Spiel. Erst unlängst hat sich die EMI-Tochter Virgin mit Mariah Carey derart verkalkuliert, dass sie sich nach nur einem Verkaufsflop, dem eigentlich recht schönen „Glitter“-Album, mit einer Abfindung von 20 Millionen Pfund von ihr trennte. Um diese und andere Verluste zu decken, entließ der Konzern seit Anfang des Jahres rund ein Fünftel seiner Angestellten. Bedenkt man noch, dass Majorfirmen in der Regel zu 98 Prozent Flops produzieren, die von den zwei Prozent erfolgreicher Künstler mitfinanziert werden müssen, macht das die Ausgangslage nicht unbedingt entspannter.

Doch wie soll Williams nun das Land umwerben, das seinem Charme bislang mit Gleichmut begegnete? Auf „Escapology“ setzen er und sein Songwriter Guy Chambers voll auf die suggestive Kraft von Autoradiomusik und Middle-of-the-Road-Balladen. Mit erheblich verstärkten Gitarren klingt das mitunter wie Blink 182, meistens aber wie Meat Loaf, Bon Jovi, Rod Stewart, Aerosmith oder die Rocky-Horror-Picture-Show. Der auffallend häufige Bezug auf allerlei typisch Amerikanisches wie Las Vegas, Butch Cassidy, Sundance Kid, schwarze Chevis und Rodeo soll ihm offenbar helfen, Türen zu öffnen, ebenso wie Zeilen à la „God bless you, Uncle Sam!“, „I’m moving to L.A.! L.A.! L.A.! L.A.! L.A.! L.A.! L.A.! L.A.! L.A.! L.A.!“ oder „Californi-a USA, baby! … I dig L.A.! Gotta love L.A.! Californi-a! USA! USA! USA!“ Allein die aktuelle Single „Feel“ fällt mit ihrem Moby-Piano und ihrem Happy-Mondays-Beat deutlich aus diesem Rahmen.

Abgesehen davon, dass in den US-Charts derlei kaum gefragt ist, weil sich dort Nelly, Kelly, Ashanti und ihre Freunde breit gemacht haben, fragt man sich, was das denn überhaupt soll. Gewiss, in Europa ist das Schicksal des Albums besiegelt – weil, wie der große Dieter Bohlen einmal treffend formulierte, Robbie Williams auch einfach auf einem Kamm blasen könnte und die Leute es massenhaft kaufen würdem. Doch Williams’ Erfolg hängt einzig und allein mit den Widersprüchlichkeiten seines Charakters und dem Wissen um seine Biografie zusammen. Auf der Bühne benimmt er sich noch immer so, als sei sein Aufstieg vom Take-That-Mitglied zum Rock-Superstar ein Streich, in dem er seine Zuschauer zu Komplizen macht. Doch warum sollten sich Amerikaner dafür interessieren? Die meisten dürften dort nicht einmal wissen, dass es Take That überhaupt je gab. HARALD PETERS

Robbie Williams: „Escapology“ (EMI)