Gewalt erzeugt Gegengewalt


Nicht einmal die Einsatzleiter vor Ort wollen sich länger für Schills Kurs verheizen lassen

aus Hamburg KAI VON APPEN

Wenn Opa Karl Peters (87) und seine Frau Hilde (82) derzeit die Wohnung im St.-Pauli-Kiez verlassen und wieder mal vor der Tür die Blaulichter zucken, stößt Karl seine Hilda nur in die Seite und sagt: „Bambule!“ Denn die beiden Rentner wären beinahe selbst Opfer von Vertreibung aus dem Viertel geworden. Auch Britta Ernst (35), deren Kitaplatz für Töchterchen Vivien (4) gefährdet ist, sagt nur „Bambule!“ und schließt sich einem spontanen Treck an – einer von vielen, der zurzeit durch Hamburg zieht. „Bambule“ ist an der Elbe zum Begriff und Synonym für alles geworden, was den Zorn auf den neuen Rechtssenat ausmacht – der sich eben in Innensenator Ronald Schill personifizieren lässt.

Seit der Räumung des kleinen Bambule-Bauwagenplatzes im Hamburger Karolinenviertel vor genau drei Wochen befinden sich de facto fast täglich ganze Regionen der Elbmetropole, die 2012 gern die Olympiade austragen möchte, dank Schill im polizeilichen Ausnahmezustand. So zuletzt in der Nacht auf Sonntag nach einer Spontandemo von 100 Menschen in St. Pauli, am Freitagabend am Alsterufer. Die „heimatvertriebenen“ Bambule-Bauwagenbewohner hatten dort zur Kundgebung vor dem Promi-Teff und Nobel-Nachtclub „Wollenberg“ geladen, „dem zweiten Wohnsitz der Innenbehörde“, wie sie sagen. Denn im Wollenberg pflegte der Partysenator in der Vergangenheit manche Nacht zu feiern, um dann am nächsten Tag erst spät zum Dienst zu erscheinen. Er nannte den feuchtfröhlichen Smalltalk mit der hanseatischen Schickeria „eine Art erweiterte Bürgersprechstunde“ und daher auch „Dienstzeit“. Während Clubbesitzer Michael Wollenberg entspannt auf das Bambule-Event reagierte und verkündete, auch die Bambule-Gäste seien ihm stets willkommen und da sie als alteingesessene HamburgerInnen wohl kaum an der „Neu-Städter-Party“ teilnehmen wollten, würde er wegen der Kälte zumindest vor der Tür „Glühwein und belegte Brötchen“ servieren lassen.

Dieser Kumpanei mit dem Feind konnte Schill nichts abgewinnen. „Ich habe dafür kein Verständnis“, sagte er. „Hartes Durchgreifen ist die einzige Sprache, die die Gewalttäter und Chaoten verstehen“. Der als Richter Gnadenlos bekannt gewordene Innensenator ließ kurzerhand das Alsterufer rund um das US-Konsulat und die Spielbank durch 1.400 Polizisten aus verschiedenen Bundesländern mit Panzern und Wasserwerfern in eine Festung verwandeln. Den 1.000 Bambulisten, die der Wollenberg-Einladung nachkommen wollten, wurde der Weg zur Location trotz Einladung und korrekter Anmeldung der Demonstration versperrt. Der Treck zog daraufhin ins Schanzenviertel.

Selbst einen Laternenumzug am Vortag ließ die Polizei auf Schills Order nicht über die bereits weihnachtlich geschmückte Einkaufsmeile Mönckebergstraße laufen. Diesmal bot Schill nur 700 heimische Kräfte in Uniform auf, um gegen die 900 Teilnehmer des Laternenlaufs ein Cityverbot durchzusetzen und für Ruhe und Ordnung zu sorgen – ein erneuter Kraftakt. Und von Ruhe und Ordnung konnte in der Shopping-World angesichts umherbrausender Mannschaftswagen und Wasserwerfer auch keine Rede sein. Die 900 Bambulisten mussten auf die Hauptverkehrsstraßen ausweichen, um ihre fantasievoll bemalten Laternen zur Schau zu stellen. Zu der Melodie von „Ich gehe mit meiner Laterne und meine Laterne mit mir, dort oben …“ sangen sie: „Der Schill muss weg, dann sind wir weg, rabimmel rabammel rabumm.“

Es sind nicht nur die alten Szenekämpfer aus den Zeiten der Hafenstraße oder Roten Flora, die es zurzeit wieder aus Solidarität mit den Bauwagenbewohnern auf die Straße treibt. Vor allem junge Studierende oder Schüler kündigen nach einem Jahr Schwarz-Schill Widerstand an und verlangen Perspektiven für die Zukunft in einer Stadt, die sich brüstet, Tor zur Welt zu sein. Aber auch einfach Bewohner aus der westlichen inneren City, die Angst vor Vertreibung im Rahmen der kommerziellen Verwertungsstrategien haben – wenn sie Worte wie Messe-Erweiterung, Hafen-City oder Olympia-Neustadt hören. So haben 45 Gewerbetreibende des Karoviertels in einem offenen Brief die Rückkehr der Bambule gefordert. „Durch Bambule ist das Problem der Isolation aufgebrochen, es ist seit langen erstmals wieder gelungen, die Kräfte zu bündeln“, sagt Dirk Hauer von der Sozialpolitischen Opposition, die sich vor allem für soziale Randgruppen einsetzt und zusammen im Bündnis mit der Gewerkschaft Ver.di gegen die Sozialkahlschlag in der Hansestadt kämpft.

Trauriger Höhepunkt der Schwarz-Schill-Eskalationspolitik war indes eine Spontandemo am Montag nach dem Fußballspiel FC St. Pauli gegen 1. FC Köln. Unter dem Motto: „Bambule ist machbar – der Nachbar“, formierte sich am Stadion nahe dem Karoviertel eine Spontandemo mit über 1.000 Leuten aus dem Kiez. „200 Militante, 300 Gewaltbereite und 500 Bürgerliche“, wie Schill das ungewohnte Konglomerat charakterisierte, um es dann wieder auf die Formel zu reduzieren: „Rechtsbrecher.“ 700 Polizisten mit Wasserwerfern stoppten die Nachbarn der Bambule und kesselten Teile ein.

269 Personen wurden festgenommen – Szenen, die an den legendären Hamburger Kessel von 1986 erinnerten. Denn die Eingekesselten – von Wasserwerfern durchnässt – mussten teilweise drei Stunden in klirrender Kälte ausharren und auf ihren Abtransport in die „Gefangenensammelstellen“ am Stadtrand warten. „Die Linie, den Chaoten keinen Raum zu lassen, hat sich bewährt“, tönt Schill unbeirrt. „Deeskalation wird von Rechtsbrechern und Gewalttätern als Einladung zur Gewalt verstanden.“

Dabei verteilt er gern Seitenhiebe an seine Amtskollegen in Berlin und Hannover. „In Berlin wurde der Polizei von der Politik eine Deeskalationsstrategie verordnet, und es hat am 1. Mai enorme Krawalle gegeben.“ Gern verweist er auf die Hannoveraner Chaostage unter dem Ministerpräsideneten Gerhard Schröder, um dann wieder zurückzukehren zu seinem „Freund Günther Beckstein“, dem bayerischen Innenminister, dem es zu verdanken sei, dass durch das harte Durchgreifen bei den Münchner Chaostagen im Frühjahr Stärke bewiesen worden sei. Und natürlich erinnert Schill auch gern dabei an die Auseinandersetzungen um die Hafenstraße und die Rote Flora, die eigentlichen Feindbilder des Rechtspopulisten.

Dass es allerdings bislang nicht zu Gewaltexzessen gekommen ist, ist vor allem den Verhalten der Bambuleszene zu verdanken, nicht immer auf polizeiliche Provokationen einzugehen. Denn dass die Gewalt vornehmlich von der Polizei ausgeht, nehmen nicht nur unabhängige Beobachter wahr. So kritisierte jüngst der Hamburger Kriminologe Fritz Sack das staatliche Vorgehen: „Die Gewalt wird oft von der Polizei in den Konflikt getragen“, warnte Sack. „Das ist der Weg in die Eskalation.“

Fritz Sack war drei Jahre lang Mitglied der Hamburger Polizeikommission, die unter rot-grüner Ägide nach dem Polizeiskandal Missstände bei der Polizei eindämmen sollte, aber in einer ersten Amtshandlung von Schwarz-Schill liquidiert wurde. Ähnliche Wahrnehmungen hat auch der Hamburger Bundessprecher der Kritischen PolizistInnen, Thomas Wüppesahl, gemacht. „Die Chronologie belegt, dass die Gewalt vom Staat ausgeht“, so der Hamburger Kripomann. „Es sind längst wieder dutzende rechtswidriger Handlungen von PolizeibeamtInnen bei den Gewaltdemos der Polizei festzustellen.“

Das medial krasseste Beispiel ist wohl die Strafanzeige von zwei Kielern Zivilfahndern, die am vorigen Wochenende bei der Großdemo von 4.000 Bambule-Anhängern im Schanzenviertel im Bereich ihrer schleswig-holsteinischen Verbände eingesetzt waren. Sie wurden von einem Thüringer Festnahmezug verprügelt, der bewusst eingesetzt worden war, obwohl die Truppe als gefährlich galt. Ein Polizeiinsider: „Die waren bei den Castor-Transporten im Wendland wohl nur in Bereitschaft und sind nicht richtig zum Zuge gekommen.“

Die Machtdemonstrationen der Polizeigewalt finden selbst im Apparat nicht mehr überall Zustimmung. Es rumort heftig, auch wenn Schill immer wieder beteuert. „Hamburgs Polizei ist hoch motiviert.“ Durch Personalentscheidungen seines treuen Gefolgsmann und Polizeipräsidenten Udo Nagel wird zurzeit versucht, die oberste Ebene in den Griff zu bekommen. Es lässt sich aber immer mehr beobachten, dass Einsatzleiter vor Ort nicht bereit sind, den Gewaltkurs von Schill und Nagel weiter umzusetzen und sich für deren privaten Kreuzzug verheizen zu lassen.

Momentan kann Schill die Moral der Truppen nur durch den massiven Einsatz von Fremdkräften aus anderen Bundesländern scheinbar aufrechterhalten. Doch selbst in der eigenen Behörde bläst Schill im Moment der Wind ins Gesicht, nachdem sein Behördensprecher Hartmut Kapp den Dienst quittiert hat. Der erfahrene Kripomann war nach dem Regierungswechsel aus der Polizeipressestelle gegen seinen Willen in die Innenbehörde abkommandiert worden. Er nutzte jetzt die Gunst der Stunde, nachdem er von Schill mehrfach in Zeitungen wegen schlechter Präsentation der Schill-Politik getadelt worden war, den Abgang zu suchen. Für den Personalratsvorsitzenden der Innenbehörde, Volker Heitmann, ist deswegen der Betriebsfrieden durch Schill „nachhaltig gestört“.