Kritikerin zum Schweigen gebracht

Malika Umaschewa, Bürgermeisterin des tschetschenischen Alchan-Kala und Opfer mehrerer Razzien durch russisches Militär, wurde ermordet. Tschetschenische Flüchtlinge in Inguschetien werden unter Druck gesetzt, in ihre Heimat zurückzukehren

aus Moskau KLAUS-HELGE DONATH

Malika Umaschewa rollte den Teppich im Wohnzimmer beiseite und zeigte auf die Einschussstellen der MP-Salven. Neunmal hintereinander hatten russische Sodaten im Frühjahr das Haus der Bürgermeisterin in Alchan-Kala durchkämmt. Jedesmal mit derselben Forderung: Sie verlangten den Stempel von der 55-jährigen Pädagogin, der ihnen Absolution erteilt hätte, dass bei den „Säuberungen“ keine Rechtsverletzungen begangen worden seien. Malika Umaschewa weigerte sich. 15 Tote gab es nach den mehrtägigen blutigen Massakern zu beklagen, dutzende wurden verschleppt und werden seither vermisst.

Am vergangenen Freitag wurde Malika Umaschewa erschossen. Die russische Nachrichtenagentur Interfax sprach von maskierten Männern, die in das Haus eingedrungen seien. Chechenpress, die Website der tschetschenischen Rebellen, machte für den Mord vermummte Soldaten verantwortlich, die Umaschewa im Stall bei ihrem Haus exekutiert hätten.

Klar ist, dass auch dieses Verbrechen nie aufgeklärt wird. Umaschewa war dem russischen Geheimdienst FSB und den Militärs lange ein Dorn im Auge. Sie hatte es nicht nur verstanden, trotz des Leids die Bewohner zu mäßigen, sondern auch das Grauen der 20.000-Seelen-Gemeinde über Tschetschenien hinaus bekannt werden zu lassen. Nach den Gräueln im Frühjahr reiste eine Delegation des Europarates nach Alchan-Kala.

Umaschewa ist tot und mit ihr eine weitere mäßigende, auf Ausgleich bedachte Stimme. Alchan-Kala ist nämlich auch jener Ort, aus dem der Kopf der Geiselnehmer im Moskauer Nord-Ost Theater, Barajew, stammte, Vertreter einer Generation, für die Versöhnung undenkbar ist.

Dass der Kreml nicht an Ausgleich denkt, beweisen unterdessen die Zwangsmaßnahmen gegen Flüchtlinge in der Nachbarrepublik Inguschetien. Moskau will bis zum 20. Dezember alle Lager mit über 30.000 Vertriebenen schließen und deren Rückkehr nach Tschetschenien erzwingen. Doch die meisten Flüchtlinge weigern sich zurückzukehren. Denn sie fürchten die marodierenden russischen Truppen. Wie Swetlana Gannuschkina von der Menschenrechtsorganisation „Memorial“ berichtet, sind Emissäre der moskautreuen tschetschenischen Regierung und Vertreter des russischen Migrationsdienstes in den Lagern unterwegs, um Flüchtlingen zu drohen: „Wenn ihr heute nicht zurückgeht, morgen werdet ihr rennen.“

Darüber hinaus wurden die Lagerverwaltungen unter Druck gesetzt, noch wohnhafte Flüchtlinge aus den Listen zu streichen. In Aki-Jurt, das als erstes Lager geräumt werden sollte, hat man so alle Lehrer „aussortiert“. Sie erhalten keine humanitäre Hilfe mehr, die ohnehin nur noch von ausländischen Organisationen zur Verfügung gestellt wird.

Dahinter steckt eine langfristige Strategie. Zuerst wurde der moskaukritische Präsident Ruslan Auschew vor Jahresfrist zum Rücktritt gezwungen. Dann türkte Moskau die Wahlen und inthronisierte einen willfährigen Geheimdienstler als Präsidenten. In Absprache mit der Regierung in Grosni beschloss dieser im Mai, die Flüchtlingsfrage bis Jahresende zu lösen: Es gibt keine Flüchtlinge, somit auch keinen Krieg, und das Militär fördere den friedlichen Aufbau.