Fremd sein, fremd bleiben

Einfühlung ist nicht billig zu haben: Die Brüder Fosco und Donatello Dubini folgen in ihrem Roadmovie und Kammerspiel, ihrem fikionalen, ihrem dokumentarischen Film der Schweizer Schriftstellerin Annemarie Schwarzenbach und der Ethnologin Ella Maillart ins Afghanistan der Vierzigerjahre

von CLAUDIA LENSSEN

Jeanette Hain als Annemarie Schwarzenbach: im Gewand eines jungen Orientalen wie hingegossen an einer Mauer irgendwo im archaischen Zentralasien. Der Papyrus glimmt zwischen den Fingern, der Blick geht nach innen in die drogenumrauschte Schwermut. Nina Petri in der Rolle der Ella Maillart: eine schmale Silhouette in eleganten englischen Hosen, die sich zu Frauen und Kindern eines Nomadenstamms hockt, den Kontakt mit ihnen sucht.

Immer wieder scheint Fosco und Donatello Dubinis Film stillzustehen, wird die langsame Fahrt des schwarzen Fords, mit dem die Frauen quer durchs Breitwandformat wie attraktive Fremdkörper in der gelb glühenden Wüstenlandschaft unterwegs sind, unterbrochen, verharren die Bilder in Tableaux vivants.

Fremdsein, Fremdbleiben durchzieht „Die Reise nach Kafiristan“ als emotionaler Grundton und filmisches Prinzip. Die seit zwanzig Jahren kooperierenden Dokumentarfilmbrüder Dubini haben die historische Forschungsreise der Schriftstellerin Annemarie Schwarzenbach und der Ethnologin Ella Maillart bewusst zwischen fiktionalem und dokumentarischem Film angelegt. Weder ist ein klassischer Kulturfilm entstanden, der dem Finger auf der Landkarte folgt, noch ein Melodram à la „Jenseits von Afrika“. Anstelle von illusionärer Spielfilmdramaturgie haben sich die Filmemacher fürs gestische Andeuten, fürs episodische Erzählen, für den asynkopischen Rhythmus aus Roadmovie und Kammerspiel (im Zelt, an einer Grenzstation, bei einem persischen Botschafterempfang) entschieden. Einfühlung ist nicht billig zu haben, wenn zwei extreme Charakterköpfe ein unerreichbares Ziel verfolgen und erst im Verlauf der Reise erkennen, das sie vor sich selbst auf der Flucht sind.

In zahlreichen, skeptischen Artikeln für Zeitungen ihrer Schweizer Heimat verarbeitete die Schwarzenbach ihre Eindrücke literarisch (nachzulesen unter anderem in „Alle Wege sind offen“, Lenos Verlag, Basel, 2000). Die äußere Reise- und Erkenntnisbewegung über den Balkan, die Türkei und Persien sollte 1939/40 Richtung Kafiristan führen, ein mythisches Hochland in Afghanistan, in dem die Maillart Zeitgeist-infiziert nach Urariern suchte, während die melancholische Morphinistin Schwarzenbach – eine hellsichtige Gegnerin der Nazis und Freundin von Erika und Klaus Mann – auch in der Fremde nicht von den Bildern deprimierender Unterdrückung loskam, vor allem wenn sie über das Los der orientalischen Frauen schrieb. Die Autofahrten in der komfortablen Ford-Kabine, die alle Utensilien gehobener Reisekultur beherbergt und vor deren Fenstern der Orient wie im Kino vorüberzieht, bringt die Frauen einander nah, eine Liebesgeschichte zwischen ihnen bleibt unausgesprochen.

„Die Reise nach Kafiristan“ wäre eine klassische deutsche Reise durch Seelenlandschaften, böte der Film nicht Landschaftsbilder von überwältigender Schönheit, für die der Kameramann Andreas Käli zu Recht ausgezeichnet wurde. Gedreht wurde, als die Taliban herrschten, vornehmlich in Tadschikistan und Usbekistan. Nicht konkrete Grenzen und Schlagbäume sind das Thema, das macht den Reichtum des Films aus.

„Die Reise nach Kafiristan“. Regie: Fosco und Donatello Dubini. Mit Jeanette Hain, Nina Petri u. a., Deutschland, Schweiz, Niederlande 2001, 100 Min.